Beckenboden To Go – Folge 89: Beckenboden goes Business mit Astrid Landmesser

Heute begrüßt das Bewegungszentrum Norderstedt im Podcast „Beckenboden to go“ Astrid Landmesser. Astrid ist heute zu Gast in unserer „Beckenboden goes Business“ Reihe. Sie ist Physiotherapeutin, Physiopelvica, Sexualtherapeutin mit Basiskompetenz und arbeitet und lebt in Erkelenz auf dem Physiohof. 

 

Unser Thema heute ist dein Werdegang. Ich habe dich eingeladen, weil du so viel Inspiration mitbringst. Seit wann bist du Physiotherapeutin? 

Ich bin seit 1981 Physiotherapeutin. Ich bin 63 Jahre alt und habe 1978 meine Ausbildung an der Universitätsklinik in Essen gemacht und weil ich gerne mit Kindern arbeiten wollte, habe ich dann gleich an einer Körperbehindertenschule angefangen. Ich habe da mit sehr viel Freude im neurologischen Bereich gearbeitet. Da hat sich eigentlich so das grundlegende interdisziplinäre Arbeiten von mir entwickelt, weil wir da mit Ergotherapeut*innen, mit dem Schularzt und mit den Lehrer*innen sehr gut zusammengearbeitet haben. Das war immer eine sehr gute Teamarbeit, wo ich viel über die Arbeit mit den Kindern gelernt habe. Das war wirklich sehr wertvoll. 

 

Wie bist du dann auf Beckenboden gekommen? 

Ja, leider durch meine eigene Inkontinenz. Ich bin mit 25 zum ersten Mal Mutter geworden und bin ungeschickt in meine eigene Inkontinenz reingelaufen. Im Nachhinein habe ich erst erfahren, dass meine Aufhängung der Harnröhre sehr gelitten hat. Als ich dann mit 27 mein zweites Kind bekam, war der Schaden schon passiert und viel mehr ist auch nicht dazugekommen, aber ich war wirklich unglücklich. Ich war damals auch Übungsleiterin und habe eben auch sehr schwer heben müssen in der Körperbehindertenschule. Und dann bin ich auf die Suche gegangen, habe ich mich wirklich sehr bemüht und habe bei Tanzberger, bei Anni Orthofer-Tihanyi, bei Frau Heller und auch bei einer Hebamme gelernt, die damals schon sagte: warum untersucht eigentlich die Physiotherapie nicht und das ist mir tatsächlich noch lange im Kopf geblieben. Dann habe ich mich 1999 mit meiner Kollegin Gunda Neukirch selbstständig gemacht, weil ich gemerkt habe, dass die Therapie funktioniert. 

 

Ich habe mir auch selber gut helfen können, war aber leider noch lange nicht kontinent, das hat dann tatsächlich erst eine TVT-Operation richten können. Ein großer Aha-Moment war für mich auch als ich gemerkt habe, dass mein eigener Beckenboden völlig hyperton war. Ich habe mich immer gefragt: warum schaffst du es nicht, deinen Beckenboden vernünftig anzuspannen und im Laufe dieser ganzen Dramatik, habe ich mich voll in den Hypertonus reintrainiert. Es war eine große Erleuchtung für mich, dass es nicht auf das Anspannen, sondern auf eine gute Koordination der Beckenbodenmuskulatur ankommt. 

 

2004 bist du also klassisch mit der Behandlung von Frauen gestartet und irgendwann hattest du auch männliche Patienten. Wann bist du denn mit der Kinderbeckenbodentherapie in Kontakt gekommen? 

Ja, also das hat sich ergeben über die AG-GGUP (Arbeitsgruppe für Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie und Proktologie), wo ich Clara kennenlernte und Clara hat schon ganz früh mit der SoMa gearbeitet, der Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Maldeformation am After. Zu mir kamen dann eher die Kinder mit Hanwegsproblemen, Drangproblematiken oder nächtlichem Einnässen. Die Kinder sind tatsächlich über die Mütter zu mir gekommen. Und 2007 habe ich dann mit Clara einen Kurs im Rahmen der AG-GGUP über die Kinderbeckenbodentherapie gestartet. 

 

Wie ist denn deine Verbindung zur AG-GGUP? 

Ich bin 1999 zum ersten deutschen Kontinenzkongress gefahren und da traf ich auf die AG-GGUP, die hatten da einen ganz kleinen unauffälligen Stand. Dann bin ich kurze Zeit später Mitglied geworden. Ich muss sagen, ich glaube, ich habe ein bisschen genervt am Anfang, weil ich unbedingt untersuchen wollte. Ich erinnere mich noch an ein wirklich konspiratives Treffen mit 7 Kolleginnen bei heruntergelassenen Rolladen , wo wir uns gegenseitig untersucht haben, um das einfach zu üben. 2003 hatten wir dann auch die Zustimmung der AG. Wir mussten das dann erstmal auf sichere Füße stellen. Wir haben dann mit einer Rechtsanwältin den so genannten Informed consent entwickelt, sodass das auch alles abgesichert war. Das hat sich entwickelt und irgendwann war klar, wer diese Ausbildung zur Untersuchung gemacht hat, der darf das auch tun. Und dann mussten wir diesem Modul noch einen Namen geben und so ist Physio Pelvica entstanden. Ich habe ehrlich gesagt nie gedacht, dass ich mal Referentin sein werde, aber das hat so Spaß gemacht mit den ganzen tollen Kolleginnen. Ja und dann waren 2012 meine Kinder aus dem Haus. Wir hatten ein riesiges Haus und ich habe mich gefragt, was ich mit dem Platz mache. In der Zeit habe ich mich dann von meiner Kollegin freundschaftlich getrennt und behandele da nur noch Kinder auf Rezept. Hier auf unserem Hof behandele ich jedoch privat und das läuft super, der Plan ist voll bis März. Ich konnte mich hier wirklich super verwirklichen, wir haben was zu Sexualität gemacht oder auch mal einen Kurs mit meiner Schwester zu Beckenboden und Gesang. 

 

Die Fortbildungen gibst du aber nicht mehr, oder? 

Es war irgendwann nicht mehr möglich, dass die Menschen durch unser ganzes Haus liefen. Das war irgendwann vorbei. 12 Jahre, das war genug. Ich habe 20 Jahre als Referentin aktiv gearbeitet, habe auch mein Wissen sehr weit verstreut und irgendwann war ich einfach sehr viel unterwegs. Ich wollte alles wissen. Ich wollte wirklich überall sein. Und wir haben bei den deutschen Kontinenzkongressen den Finger gehoben, haben, gesagt: aber die Physiotherapie, und ihr müsst uns hören, bis wir manchmal lästig waren, aber das hat was gebracht, heute können die nicht mehr an uns vorbei. 

 

Ich habe viele Vorträge gehalten, bin da jetzt auch etwas zurückhaltend. Es wird immer mehr Evidence Based Medicine gefordert und ich arbeite einfach praktisch. Ich bewundere Kolleg*innen, die das machen, aber das ist nicht meine Arbeit. 

 

Ich empfinde sehr viel Empathie. Ich habe in den ersten 2 Jahren zu viel Empathie mit dem Patient*innen gehabt. Das hat sehr an mir genagt und ich musste echt lernen professionell damit umzugehen. Ich habe ein Coaching gemacht und das hat mir wirklich geholfen. Ich möchte den Patient*innen aber hier wirklich vermitteln, dass sie gehört werden und dass ich sie ernst nehme, aber das klappt mit Privatbehandlungen natürlich besser. 

 

Ich habe auch irgendwann mal diesen Spruch gehört, wenn du einen Menschen vor dir sitzen hast, sei bereit, alles Wissen über Bord zu werfen und schau dir wirklich erst mal diese Person an und sei emphatisch. 

 

Wir waren in der Zeit vor Corona stehengeblieben. Du hast mit dem Physiohof aufgehört und etwas ganz Tolles entwickelt, erzähl uns davon.

Ja, das war schon echt verrückt. Ich habe gedacht, was mache ich denn jetzt im Lockdown mit den Rückbildungskursen und dann habe ich mich einfach vor mein Handy gesetzt und habe Filme gemacht. Mein Mann und ich haben das dann strukturiert und so ist die Beckenboden-Toolbox entstanden. Ja, und die gingen echt gut weg. Inzwischen ist es ein sehr umfangreiches Tool, es geht um Pessare, um Biofeedback, das Verhalten auf der Toilette und so weiter. Irgendwann hatten wir auch echt viele Anfragen von Männern und so ist dann 2023 die Männerbox entstanden. Man kann wirklich mit dieser Box sofort arbeiten. Das ist sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen so üblich. 

 

Was sind deine Pläne für deine Praxis nächstes Jahr? 

Ich bin 63 und man muss schon sagen, der Zahn der Zeit nagt auch an mir. Ich hoffe wirklich, dass ich hier arbeiten kann, bis ich 80 bin. Wenn ich gesund bleibe, möchte ich noch lange mit Patient*innen arbeiten. Ich habe tatsächlich noch ein Ultraschallgerät gekauft, es macht mir immer noch Freude Neues zu entdecken. Für mich sind die vaginale oder auch anorektale Untersuchungen ein Pflichtprogramm. Ultraschall und ein Miktionsprotokoll sind bei mir ebenfalls wichtige Tools für die Diagnose. Wir hatten ja früher wirklich etwas den Ruf „Blümchentherapeut*innen“ zu sein, aber das hat sich echt geändert: wir untersuchen und wir machen gute Diagnostik. Das ist eine sehr schöne Entwicklung, die sich da in den Jahren getan hat, und es geht sicherlich auch noch weiter. 

 

Was würdest du jungen Kolleg*innen mitgeben? 

Traut euch schon früh zu untersuchen! Und, dass sie das Thema wie wir auch schon aus der Schamecke rausholen. Ich muss auch wirklich sagen, dein Podcast leisten einen tollen Beitrag. Großes Lob! Gut wäre natürlich, wenn unsere professionelle Arbeit auch entsprechend bezahlt werden würde. In den Privatpraxen können wir das natürlich ein bisschen besser staffeln, aber auch die normale Abrechnung dürfte etwas höher bezahlt werden. Und die jungen Kolleg*innen sollen unsere Arbeit durch Studien belegen. 

 

Gibt es noch etwas, was du sagen möchtest? Ich kann wirklich nur empfehlen zu den Kongressen der deutschen Kontinenzgesellschaft zu gehen, das war wirklich immer super für die Vernetzung und die Physiokongresse natürlich auch. 

 

Wie erreicht man dich?

www.physiohof-landmesser.de und die Kinder behandele ich in der Praxis Neukirch.


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