Beckenboden To Go – Folge 10: Rektusdiastase

 

Heute begrüßt das Bewegungszentrum Norderstedt im Podcast „Beckenboden to go“ Annika Mewes. Annika Mewes ist Physiotherapeutin, spezialisiert auf Beckengesundheit, und Manualtherapeutin.

 

In der heutigen Folge geht es um die Rektusdiastase.

 

Was genau ist eine Rektusdiastase?

Eine Rektusdiastase ist erstmal etwas total Natürliches und Normales, was jeder Mensch hat, nämlich die Verbindung zwischen den geraden Bauchmuskeln. Die geraden Bauchmuskeln verlaufen vom Rippenbogen bis zum Becken und

dazwischen befindet sich Bindegewebe. Und genau diese „Lücke“ nennt man Rektusdiastase. In dem Zusammenhang hier sprechen wir von Rektusdiastase, wenn eben diese Lücke besonders groß ist oder ihre Funktion beeinträchtig ist. Das ist vor allem bei Frauen, die eine Baby bekommen haben vorhanden, jedoch betrifft es auch Männer mit einem besonders dicken Bauch.

 

Nochmal bildlich:

Eine Rektusdiastase haben alle Menschen. Wir stellen uns ein Sixpack vor und genau dieser Strich von oben bis unten, ist die die Rektusdiastase. Genau diese Lücke wird auch oft auf sozialen Medien als Schönheitsideal präsentiert, da dadurch das Sixpack sichtbarer wird.

 

Woran würde ich merken, dass meine Rektusdiastase vom Gefühl, also nicht von einer Zentimeterangabe her, behandlungsbedürftig wäre?

Es gibt zwei Hauptmerkmale, die häufig von Frauen beschrieben werden, die eine Rektusdiastase haben. Zum einen ist es die Optik. Viele Frauen werden häufig gefragt, ob sie wieder schwanger seien. Oder man selber hat das Gefühl, dass der Bauch nicht wieder wie vor der Schwangerschaft aussieht. Zum anderen berichten die Frauen häufig, dass sie das Gefühl haben, dass sie nicht mehr so viel Kraft im Bauch haben. Dass sie bei der Rückbildung merken, dass sie die Belastung nicht so gut halten können. Das sind die zwei Hauptfaktoren, bei denen die Frauen merken, dass etwas nicht ganz stimmt. Auch ein Gefühl von Instabilität in der Körpermitte oder Kraftlosigkeit, können Anzeichen dafür sein. Manchmal können auch Symptome wie ein Blähbauch oder Verdauungsbeschwerden dazu auftreten.

 

Wenn das nun auf mich zutrifft, der Bauch ist nicht ganz so stabil. Sieht man den Spalt, die Größe oder wie kann ich das sehen?

Es kann alles Mögliche sein. Manchmal sieht man beim Anspannen, dass da etwas rauskommt oder es zieht sich ein. Wenn man jetzt an die Männer mit dickem Bauch denkt, dann sieht man, dass sich dort ebenfalls etwas heraus wölbt, wenn sie anspannen. Das sind aber in der Regel eher die intensiveren Fälle. Es gibt auch symptomatische Rektusdiastasen, die gar nicht so eine intensive Optik hervorrufen. Da ist dann eher die Funktion, also die Kraft oder Koordination beeinträchtig. So kann es also auch sein, dass man optisch etwas bemerkt, aber die Funktionalität nicht beeinträchtigt ist. Deswegen ist es

wichtig hier zu unterscheiden. Beide Fälle könne auftreten, es muss nicht immer symptomatisch sein und es müssen nicht immer Probleme auftreten. Nach der Geburt ist das ein ganz normaler Zustand, das gehört in den ersten 4 Monaten

nach der Geburt dazu, weil der Bauch gedehnt ist. Es ist Teil der natürlichen Rückbildung, dass sich dieser Punkt wieder annähert.

 

Ab wann spricht denn die Medizin überhaupt von einer Rektusdiastase?

Alles ab einer Breite von 3 Zentimetern findet den größten Konsens. Es gibt immer mal wieder andere Zahlen und es wird so viel darüber berichtet. Aber bei 3 Zentimetern ist der Abstand schon echt groß. Wenn drei Finger da reinpassen, ist das nicht normal. Bei zwei Fingern kann es jedoch schon als normal gelten und man hat nicht zwangsläufig Probleme. Daher gilt es immer individuell auf den Körper zu hören und sich ggfs. fachgerecht untersuchen zu lassen. Nach meiner Erfahrung sind 3 Zentimeter über 6 Monate nach der Geburt schon etwas wo man sich professionelle Hilfe suchen sollte, um zu schauen, ob man dem entgegenwirken kann.

 

Wenn ich diese große Lücke selber bei mir feststelle, wer kann mir das dann bestätigen? Wo bekomme ich die Diagnose?

Grundsätzlich ist der Weg zum Gynäkologen immer der richtige. Auch wenn ihr Spektrum nicht die Behandlung der Rektusdiastase beinhaltet, können sie eine Verordnung über Physiotherapie ausstellen. Mit dieser Verordnung sucht man

sich dann im besten Fall eine/n Physiotherapeut*in, der/die auf den Beckenboden spezialisiert ist. Auch wenn es nicht direkt zusammengehört ist das ein Themenkomplex, der dort gut aufgehoben ist.

 

Machst du auch einen Beckenboden-Check?

Ja, ich mache einen Beckenboden-Check mit Ultraschall, um den Frauen zu zeigen und zu erklären, wie ihr Beckenboden arbeitet. Man kann dabei auch die Rektusdiastase genau ausmessen und schauen, was passiert, wenn ich die

Bauchmuskeln anspanne. Der Ultraschall gibt auch eine gute Auskunft über die Tiefenmuskulatur, die bei der Rektusdiastase ebenfalls eine große Rolle spielt. Man kann im Ultraschall sehen, wie und wann der Muskel sich anspannt und kann damit auch besser üben. Somit ist der Ultraschall auch ein sehr gutes Bio-Feedback, weil die Frauen sehen, was im eigenen Körper passiert. So fällt es vielen auch wesentlich leichter die Muskeln gezielt anzusteuern. Der Beckenboden Check Up ist leider bislang keine Krankenkassenleistung ist, aber eine sehr sinnvolle Ergänzung. Der Checkup ist nicht günstig ist, weil es auch für die Behandler sehr zeitintensiv ist (etwa eine Stunde) und kostet meist um die 100 €. Aber es gibt die Möglichkeit sich ein Rezept zu holen und mit diesem Rezept kann man gegen einen kleinen Aufpreis in einer zugelassen Physiopraxis den Ultraschall ergänzend in Anspruch nehmen.

 

Die Praxis von Annika Mewes ist in Frankfurt am Main und es sind sowohl Kassen- als auch Privatpatientinnen gern gesehen.

Die Liste von weiteren Therapeut*innen mit entsprechendem Angebot findet ihr hier: https://www.ag-ggup.de/therapeutenliste/ oder bei https://www.rektusdiastase.info

 

Wie trainiere ich den Musculus transversus abdominis?

Der transversus abdominis ist ein tiefer Bauchmuskel, der unter den schrägen Bauchmuskeln liegt. Eher etwas seitlich in der Planke liegend und ist zum einen ein Stabilisator und zum anderen umschnürt er unsere Taille. Er ist aber auch ein

direkter Helfer vom Beckenboden. Das heißt in einem gesunden funktionierenden System spannt er auch an, wenn ich den Beckenboden anspanne. Das heißt, einmal erreiche ich ihn mit einer korrekten Anspannung des Beckenbodens oder beidseitig, wenn ich den Bauchnabel zur Wirbelsäule ziehe.

 

Möglichkeiten das Anspannen zu Üben:

In Rückenlage mit beiden Händen die Taille umfassen und den Bauchnabel zur Wirbelsäule ziehen. Hier sollte man merken, wie sich der Bauch verhärtet, weil sich die Muskulatur anspannt. Ich selber arbeite auch gern mit dem Vierfüßlerstand, da man hier genau sieht, wie sich der Bauch entspannt und anspannt. Das ist besonders in der Einstiegsphase eine sehr gute Wahrnehmungsübung.

 

Gibt es noch weitere Möglichkeiten, wie ich den tiefen Bauchmuskel erreichen und trainieren kann? Was ist wichtig und was sollte ich vielleicht weglassen? Hast du noch einen Tipp?

Häufig geht es wirklich um die Ansteuerungsfähigkeit des Muskels. Stellen wir uns einmal vor, dass die Verbindung vom Muskel zum Gehirn wie eine Straße ist. Die Muskeln, die wir häufig anspannen, da ist die Straße eine Autobahn, sie ist

viel befahren und man kann wesentlich schneller auf ihr fahren. Wenn wir jetzt aber an die kleinen Muskeln denken, dann gibt es – wenn überhaupt noch vorhanden – eine wesentlich kleinere Verbindung zum Gehirn. Quasi wie ein verwachsener Feld- und Wiesenweg. In der Therapie geht es also vor allem darum, die Verbindung vom Gehirn zu diesem Muskel zu schulen und in Verbindung mit der Atmung die Ansteuerung wieder zu automatisieren.

 

Ein weiterer Punkt ist die Kräftigung. Also zu gucken, wie ich den Muskel ansteuern und stärken kann. Man kann sich also zum Beispiel wieder auf den Rücken legen, den Rücken auf die Matte drücken und den Bauchnabel zur Wirbelsäule ziehen. In dieser Position kann man dann mal ein Bein anheben und gucken, ob man diese Spannung aufrecht halten kann oder ob man diese sofort wieder verliert. Ist das der Fall, dann kann man auch mit dem Arm beginnen, diesen anheben und gucken, ob man die Spannung halten kann. Frauen mit einer großen Lücke können diese Spannung oft nicht halten und dann geht es

genau darum, die Kraft und die Wahrnehmung so zu schulen, dass dies wieder möglich ist.

 

Aber auch hier nochmal. Es betrifft nicht nur Frauen! Ich selber hatte schon Männer, auch sehr muskulöse, in der Behandlung, die ebenfalls dieselben Schwierigkeiten haben bzw. hatten. 

 

Viele Leute haben Schwierigkeiten die Wahrnehmung wiederherzustellen, aber im Training spürt man häufig auch relativ schnell Fortschritte. Beim Bauch wird gern von einem Zylinder gesprochen. Für unseren Rumpf sind die Bauchmuskeln vorne, die Rückenmuskeln hinten, das Zwerchfell oben und der Beckenboden unten wichtig. Kommt eines davon aus dem Gleichgewicht oder ist geschwächt, dann kann sich auch die Körperhaltung verändern.

 

Hast du noch einen abschließenden Tipp, etwas das du Betroffenen mitgeben möchtest?

Lasst euch nicht verunsichern von dem, was ihr lest. Das Thema kann für betroffene Frauen wirklich belastend sein. Aber meine Erfahrung zeigt auch, dass sich viele Frauen zu viele Gedanken machen, auch wenn sie gar nicht wirklich betroffen sind. Diese Lücke ist bis zu einem gewissen Grad normal, genauso wie es normal ist, dass sich der Körper und der Bauch nach einer Schwangerschaft verändert. Es gilt also auch den „neuen“ Körper anzunehmen. Natürlich muss die Funktionalität wiederhergestellt werden, aber ständig die Lücke aus Sorge betasten ist nicht zielführend und sorgt für mehr Ängste als notwendig. Im Zweifel sucht euch lieber eine/n Expert*in anstatt irgendwelche Infos im Internet zu lesen und sie falsch zu interpretieren.


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