Beckenboden To Go – Folge 13: Reflexives Beckenbodentraining

Was ist reflektorisches Beckenbodentraining?

Beim reflektorischen Beckenbodentraining geht es nicht darum, ihn in seiner Willkürmotorik zu trainieren (ich spanne an und entspanne wieder), sondern ich versuche den Beckenboden reflektorisch, heißt über seinen Automatismus zu trainieren. Also unbewusst.

 

Das klassische Beckenbodentraining ist ja eher diese Willkürmotorik. Das reflektorische Beckenbodentraining ist relativ neu, oder liege ich da falsch?

Ja, das ist relativ neu. Wir wissen ja, dass der Beckenboden in seiner natürlichen Funktion An- und Entspannen soll. Dies wird vor allem für die Bewahrung der Kontinenz oder bei der Geburt besonders benötigt.  Das reflektorische Beckenbodentraining ist auch sehr wichtig. Denn der Beckenboden arbeitet z.B. beim Husten, Lachen, Niesen und springen automatisch und das wollen wir auch trainieren. Frauen kommen meist erst mit der ersten Schwangerschaft auch mit dem Beckenboden in

Berührung und erst dann wird er Thema. Vorher ist das vielen nicht präsent, was vor allem daran liegt, dass der Beckenboden normalerweise einfach automatisch arbeitet und wir deshalb auch nicht so viel an ihn denken.

 

Also dieser Reflex ist ein automatischer, sprich ich Huste und muss nicht daran denken, dass sich mein Beckenboden aktiviert.

 

Dieser Reflex wird durch bestimmte Situation schwächer oder funktioniert gar nicht mehr oder wie kann ich mir das vorstellen? Und welche Situationen können dazu führen, dass dieser Reflex fehlt?

Das Thema ist relativ neu und wurde bislang noch nicht so weit erforscht. Aktuell forscht eine Gruppe in der Schweiz an diesen Thematiken, ist aber noch zu keinem klaren Fazit gekommen, was darauf hinweist, warum es zu dieser Abschwächung kommt.  Auch ob es eine Abschwächung ist oder ob der Reflex erst verspätet einsetzt ist noch nicht geklärt.

 

Beim klassischen Beckenbodenkurs wird man häufig gefragt, wann man wieder Joggen können. Beim Joggen wird ja ebenfalls die Unwillkürliche Anspannung genutzt, oder?

Der Druck im Bauchraum wird beim Husten und beim Niesen, aber eben auch beim Joggen erhöht, da es eine Stoßeinwirkung darstellt. Joggen ist in dem Fall sogar ein High-Impact. Somit wird beim Joggen tendenziell auch die reflektorische Beckenbodenmuskulatur trainiert. Dies ist aber mit Vorsicht zu genießen, weil man nicht weiß, ob dieser Druck ggfs. auch zu hoch sein könnte und wir dadurch den Beckenboden nicht adäquat belasten, sondern ggfs. überlasten und somit z.B. auch die Symptomatik einer Belastungsinkontinenz verstärken.

 

Wenn ich das Ziel habe wieder Joggen zu gehen, habe meine Willkürmotorik ganz gut im Griff, habe aber Schwierigkeiten mit diesen Impact-Belastungen. Was kann ich zwischen dem Beckenbodentraining und dem Joggen an Übungen machen?

Wichtig ist, dass die Kräftigung nicht wegfällt. Auch beim reflektorischen Training wird weiter an der Kräftigung gearbeitet, sprich man sollte beides trainieren. Das reflektorische Training findet leider noch nicht so viel Raum im Beckenbodentraining.

Eine leichte Übung, mit einer geringen Intensität, bei der es auch um die Wahrnehmung geht, ist die folgende:

 

Stell Dich aufrecht hin, deine Füße haben Kontakt auf dem Boden. Du spürst in deine Beckenboden rein und lässt die Atmung fließen. Versuche nun bewusst deinen Beckenboden zu entspannen. Wenn du spürst, wie sich dein Beckenboden – ggfs. auch mit der Atmung – bewegt, dann pendelst du wie ein Bäumchen im Stand vor und zurück. Fange mit kleinen Pendelbewegungen an. Wenn du die Bewegung immer größer werden lässt, bis du das Gefühl hast, kurz vor dem Umkippen zu sein, solltest du spüren, wie dein Beckenboden zuckt. Dort passiert also eine geringe reflektorische Anspannung.

 

Starte mit 5 Bewegungen (vor und zurück) und gib deinem Beckenboden danach auch wieder Zeit sich zu entspannen.

 

Wenn du beispielsweise zu einem Hypertonus (also einem sehr angespannten Beckenboden) neigst, dann ist vor allem auch die Entspannung wichtig. Um beides effektiv und zielgerichtet zu trainieren, ist es wichtig, den Beckenboden vorher

genau zu untersuchen. Ebenso ist es wichtig, dass ich bevor ich in das reflektive Training gehe, das klassische

Beckenbodentraining gemacht habe und meinen Beckenboden bewusst aktivieren und entspannen kann. Und es macht total Sinn vorher einen Check-Up zu machen, um zu prüfen, ob man zu feste oder zu schwache Anteile hat. Wenn ein Beckenboden sowieso schon eine hohe Spannung hat, dann kann der Reflex gar nicht richtig greifen.

 

Kann man den Beckenboden Check-Up auch in der Bewegung machen, um zu sehen, wie sich die Fasern aktivieren?

Man kann bei dem Check-Up Husten und dabei kann man sehen, wie der Beckenboden beim Husten auf die Druckerhöhung reagiert. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Untersuchung und besonders wichtig, um die Frauen gut zu beraten ist hier die vaginale Palpation. Man testet hier die funktionelle Arbeit des Beckenbodens, die Kraft sowie Ausdauer und die Reflektorik. Wenn diese Parameter geklärt sind, kann man die Frauen viel besser beraten und richtig trainieren.

 

Gibt es Kontraindikationen bzw. in welchen Momenten sollte ich mit dem reflektorischen Training vielleicht noch warten?

Da man das Training sehr gut methodisch aufbauen kann, kann man auch sehr sanft beginnen. Somit kann das jede Frau machen um reinzukommen. Ein sanfter Einstieg ist beispielsweise die Übung, die ich vorhin erklärt habe. Wenn das gut funktioniert, kann man sich dann nach und nach steigern. Man kann beispielsweise mit leichtem Wippen, oder Wippen auf dem Gymnastikball sowie Ausfallschritten und Sprints auf der Stelle steigern und somit die Zeit bis zu dem richtigen Joggen wieder überbrücken und uns somit darauf vorbereiten.

 

Würdest du sagen, dass es Sinn macht, das reflektorsiche Training direkt mit der Rückbildung zu starten?

Das macht auf jeden Fall Sinn. Wir bauen das reflektorische Training bewusst mit in die Rückbildung ein, damit die Frauen davon schonmal gehört haben. Das A und O ist definitiv die Körperwahrnehmung und das den Frauen auch im Rückbildungskurs schon zu vermitteln. Wenn man den Frauen die Chance gibt, in sich hinein zu fühlen, dann spüren viele auch, dass es noch nicht ganz so stabil ist, wie es vielleicht vorher war. Deswegen ist es auch wichtig, die Frauen für diese Belastungen zu sensibilisieren, damit sie auch wieder richtig in ihre Sportart zurückfinden, ohne den Beckenboden zu überlasten.

 

Wenn ich ein gutes Gefühl habe, meine Muskulatur wieder aufgebaut habe, spricht dann noch etwas dagegen nach 9 Monaten wieder Joggen zu gehen?

Nein, an sich nicht. Aber auch hier, um auf Nummer sicher zu gehen, würde ich wieder eine Untersuchung empfehlen, um zu schauen, ob die Frau auch wirklich den Beckenboden anspannt und erreicht. Wenn ich wieder Joggen, Trampolin springen, Hampelmänner etc. wieder machen möchte, dann benötige ich dafür das reflektorische Training. Denn auch, wenn man das klassische Beckenbodentraining absolviert hat und gut beherrscht, kann es dennoch sein, dass Symptomatiken wie die Belastungsinkontinenz aufgrund des fehlenden reflektorischen Trainings bleiben. Auch für den Beckenboden benötigt man einen richtigen Trainingsplan. Denn nur ein paar Mal am Tag an- und entspannen sowie die Pendelbewegungen reichen als Reiz nicht aus, um die Muskulatur nachhaltig zu kräftigen. Gerade weil man hier nicht mit Gewichten arbeiten kann, ist es wichtig, genau zu wissen, wie man sich dennoch steigern kann, um einen neuen Reiz zu setzen. Hier ist man meist auf die Try and Error Methode angewiesen, da man individuell schauen muss, ob bspw. beim Training des Beckenbodens auch Muskelkater entsteht.

 

Corinna, du bist ja ebenfalls Mama und mit einem oder mehreren Kindern ist es oft schwer, sich die Zeit zu nehmen, hast du einen Tipp, wie das besser gelingen kann?

Ich persönlich finde immer, dass Training im Alltag stattfindet. Und mit dem Kind hat man direkt das Gewicht mit dabei.

Also die Pendelübung beispielsweise kann man sehr gut mit Baby machen und mein Sohn liebt diese Bewegung. Ich mache auch Ausfallschritte oder Squats mit Kind auf dem Arm. So streue ich die Übungen immer mal wieder in meinen Alltag ein.

 

Wenn eine Therapeutin oder Therapeut nun mehr von diesen Übungen kennenlernen möchte, welche Möglichkeiten gibt es da?

Es gibt bei uns eine Fortbildung bei Leben bewegt. Etwa 3x im Jahr gibt es die Fortbildung online als Live-Format. Die Fortbildung dauert etwa 2,5 Stunden. Wir haben auch viel Platz für Fragen und auch der wissenschaftliche Bereich wird einmal besprochen.

 

Bietet ihr auch online reflektorisches Beckenbodentraining an?

Ja, das haben wir jetzt neu dazu genommen und ist online buchbar.

 

Vielen Dank für das Interview, liebe Corinna!

Corinna findest du hier: www.leben-bewegt.de


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Kommentare: 1
  • #1

    Bruno (Mittwoch, 11 Oktober 2023 23:53)

    Hört sich gut an! Wenn man bedenkt, dass das Wort „Beckenboden“ in vielen Sprachen überhaupt erst 6-7 Jahrzehnte existiert, ist ja schon recht viel Forschung über das Thema gelaufen. Früher gab es dort - zum Beispiel bei Gray - nur fasziales Gewebe…

    Heute weiß man zum Beispiel, dass der Beckenboden mit seinen drei Schichten über das Becken die Körperhaltung steuert! Das heißt für mich als Mann, dass ich mich ebenfalls einklinken muss, wenn ich an einer neurologischen Krankheit leide, die gegen jede Vernunft ist. Hier ist Eigeninitiative gefragt, zum Beispiel an die Reflektorik heranzugehen…