Beckenboden To Go – Folge 19: Prostata Krebs

 

Was genau ist die Prostata für ein Organ, welche Funktion hat sie?

 

Ich glaube der entscheidende Faktor ist, dass die Prostata nur bei Menschen, die mit einem Penis geboren worden, vorhanden ist. Man muss sich es im Endeffekt wie eine kleine knollenartige, kugelförmige Struktur, die unterhalb der Blase liegt, vorstellen. Sie verleiht der Blase und der Harnröhre Stabilität und unterstützt somit auch die Kontinenz des Mannes. Und sie wird auch gern die Vorsteherdrüse genannt und beherbergt unter anderem auch viele Funktionen, die mit der Samenproduktion zu tun hat.

 

Dann gibt es ja regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen für die Prostata. Was passiert, wenn der Urologe sagt, dass man sich die Prostata einmal genauer anschauen muss?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Ganz oft ist der erste Weg erstmal der Hausarzt. Wenn der bei der Blutabnahme feststellt, dass der PSA-Wert, also das prostataspezifische Hormon ist erhöht ist, schickt der dich weiter. Das ist aber noch nicht die Diagnose eines Prostatatumors! Der zweite Weg ist dann zum Urologen. Der Urologe hat die Möglichkeit eine Ultraschalluntersuchung und eine digital/rektal Untersuchung durchzuführen. Der Urologe tastet rektal die Prostata ab, wie groß ist sie, wie fühlt sie sich an, gibt es Stellen an denen Verhärtungen sind?

 

Ein Schritt vorher: Es ist doch häufig ein Zufallsfund oder? Weil die Symptome eines Prostatatumors sehr gering sind oder?

Ja, die Männer berichten manchmal davon, dass sie es gemerkt haben, dass sich das Harnverhalten verändert hat. Aber dafür muss man sich schon sehr genau beobachten. Daher ist es tatsächlich so, dass bei den meisten im Rahmen der allgemeinen hausärztlichen Untersuchung, als Zufallsfund der PSA Wert erhöht ist und man wollte vielleicht eigentlich nur die Schilddrüse prüfen lassen. 

 

Was auch wichtig ist zu sagen: Wenn der Tumor Symptome macht, dann ist dieser auch meist schon weiter fortgeschritten. Und wie geht es dann weiter?

Oft wird die Diagnose durch eine Stanzbiopsie bestätigt, also es wird Gewebe entnommen und untersucht. Dann kann das Stadium bei einem bösartigen Tumor festgestellt werden oder aber auch, dass es sich um einen gutartigen Tumor handelt.

Wenn eine bösartige Zellveränderung gefunden wird, hat der Patient die Möglichkeit in Rücksprache mit dem Arzt über eine Operation zu entscheiden. Je nach Stadium ist manchmal auch vorher eine Bestrahlung notwendig. Ganz selten auch Chemotherapie. Das entscheidet letztendlich Art und Stadium des Tumors. Dadurch, dass die Tumore oft in der Vorsorge entdeckt werden, sind die Tumore oft sehr gut operativ behandelbar.

 

Prostatakrebs ist doch der häufigste Krebs bei Menschen mit Penis oder?

Ja. Ich denke aber, dass da mittlerweile das Thema der Vorsorge einen höheren Stellenwert hat und dadurch die Tumore eben früher entdeckt werden und somit noch nicht groß die Gelegenheit hatten ins Nachbargewebe zu wachsen. Also hier ist nochmal zu betonen: Geht regelmäßig zur Vorsorge! Denn es können sich auch von Untersuchung zu Untersuchung Veränderungen stattfinden. Vor allem, weil man dann die verschiedenen Werte vergleichen kann und somit auch

Auffälligkeiten besser ausfindig machen kann.

 

Wenn es nun zu einer Operation kommt. Was passiert in den Tagen zwischen der Diagnose und der Operation bzw. was ist in diesen Tagen wichtig?

Als aller wichtigstes Thema würde ich das Thema Kommunikation benennen. Wie auch immer das Umfeld aussieht, wichtig ist, dass das Thema nicht totgeschwiegen wird. Und in der Wunschvorstellung würde der Patient einen Therapeuten aufsuchen

und eine Art der Operationsvorbereitung mit uns machen. Dass sie sich selbst und ihren Körper kennenlernen. Der Mensch mit Penis hat sich ganz oft noch nicht mit dem Beckenboden und den innenliegenden Strukturen beschäftigt. Oft bekomme ich die Rückmeldung „Ja ich hab da schon mal was gehört“ aber viel ist das nicht. Es wäre schön, wenn wir unsere Patienten schon vor der Reha sehen würden und begleiten könnten.

 

Das Thema Kommunikation ist dann ja auch etwas, was nach der Operation sehr wichtig ist oder?

Auf jeden Fall. Wenn alle Entscheidungen getroffen worden und die Operation stattgefunden hat, dann wird einem oft erst bewusst, welche Einschränkungen damit einhergehen. Und diese Einschränkungen mit dem Umfeld zu kommunizieren ist

enorm wichtig, weil die Erwartungshaltung oft ist, dass nach einer OP der Tumor weg ist und alles so ist, wie es ursprünglich war. Aber bis das Verständnis dafür da ist, dass da noch ein paar Schritte kommen, die bewältigt werden müssen, macht es

Sinn darüber zu sprechen, um auch Unterstützung aus dem Umfeld zu erfahren. 

 

In der Praxis mache ich die Erfahrung, dass dadurch, dass oft minimal-invasiv operiert wird der Gedanke entsteht, dass das keine große Sache war. Hast du da ähnliche Erfahrungen gemacht?

Ja, absolut. Man sieht halt immer mehr minimal-invasive Techniken. Man sieht am Bauch 5 kleine Stellen und minimale Schnitte und was dem Menschen optisch nicht sichtbar gemacht wird, ist dem Mensch oft auch nicht so begreiflich. Dass da eben doch sehr viel im Inneren stattgefunden hat, auch wenn man es von außen nicht sieht. Deswegen glaube ich, dass es auch ganz viel Aufklärung für das Umfeld bedarf. Dass die Stellen der Operation vielleicht klein sind, aber es doch innerlich sehr viel stattgefunden hat. Man darf nicht vergessen, dass dann ein Organ fehlt. Es fehlt eine Stütze für Blase und Harnröhre. Und das bringt Einschränkungen mit sich.

 

Sophia, du hast die Menschen dann ja in der Anschluss-Heilbehandlung. Wir sprechen hier von AHB. Du sagtest, dass es ungefähr 8 Tage nach der OP los geht, richtig?

Genau, das hängt ein bisschen davon ab, wie lange der Patient einen Katheter trägt. Das heißt operativ wird direkt ein Harnröhrenkatheter mit gelegt und im Krankenhaus selbst wird ganz oft der Weg gegangen, dass dem Patienten am 5. oder 6. Tag der Katheter gezogen wird und dann gemessen wird, wie „dicht“ derjenige ist. Das ist für viele eine super ungute Situation, weil manchmal wirklich Urin läuft und läuft und derjenige keine Möglichkeit hat, das zu kontrollieren. Die Liegedauer des Katheters hat zum Teil auch einen Einfluss auf das Outcome. Also je länger dieser Katheter liegt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit an einer Inkontinenz auch nach 3 Monaten noch zu leiden. Normalerweise ist dann der nächste Schritt, dass ein Test gemacht wird. Man bekommt eine Vorlage (die etwa 1,5 cm dick ist) und da wird gemessen, wie viel Urin

verliert derjenige bei bestimmten Belastungen. Mit diesem Ergebnis wird man dann in die AHB entlassen. Da liegen dann maximal 2-3 Tage Abstand dazwischen, wo der Patient nach Hause kommt und dann geht’s in der Regel mit der Reha los.

Und dann haben die meisten Patienten auch Einlagen, die zu Hause gebraucht werden. Ich glaube ich hatte noch keinen Menschen, der direkt nach dem Krankenhaus „trocken“ war. Und alleine darüber, macht es ja auch Sinn zu sprechen.

Gerade auch, weil man zu Hause die Vorlagen braucht. Und auch dafür, dass man vielleicht eben nicht zum Kaffeetrinken gehen möchte, weil man sich eben noch nicht so richtig wohlfühlt, auch wenn man vielleicht schon wieder auf den Beinen ist. Es gibt einfach sehr viele Einschränkungen und gerade auf den öffentlichen Herrentoiletten findet man oft keinen Mülleimer, was das Wechseln einer Vorlage unterwegs natürlich besonders unangenehm macht. Zur AHB ist man nicht verpflichtet, aber ich würde es jedem immer empfehlen. Und es wird auch eigentlich von allen urologischen Kliniken empfohlen. Und das

Krankenhaus übernimmt oft auch die Organisation und die Anträge.

 

Was für einen Zeitraum hat die AHB und was wird da gemacht?

Klassischerweise sind es 3 Wochen und es ist ein ganz breites Spektrum. In den gängigen Reha-Kliniken wird der Fokus auf das Beckenbodentherapie gelegt. Und zwar in der Einzeltherapie aber parallel auch immer in der Gruppe, wo dann eben nur

Menschen mit dieser Krebserkrankung zusammenkommen und sich über Erfahrungen und Übungen austauschen können.

Neben dieser „Trainingsgruppe“ gibt es oft auch zusätzlich noch eine „Gesprächsgruppe“ in der man Unterstützung bekommt das auch mental zu verarbeiten, denn es ist und bleibt eine Tumorerkrankung mit all den Ängsten und Sorgen. Und gerade in diesem Bereich von Prostata, Blase und Penis habe ich in der Praxis die Erfahrung, dass es wirklich etwas anderes ist als ein Bandscheibenvorfall. Es schlägt auf die Seele, weil es auch mit dem Verlust der Männlichkeit gleichgesetzt wird. Gerade weil auch die Potenz leiden kann. Das ist auch ein wichtiges Thema, welches verarbeitet werden darf und muss.

 

Was findet dann in diesen Gruppen und in der Einzeltherapie statt?

Es gibt in vielen Kliniken mittlerweile auch explizit einen theoretischen Vortrag über den Beckenboden. Im Optimalfall findet das alles vor der ersten Gruppensession statt. Es macht ja schon Sinn erst zu wissen, worüber ich spreche und was ich

aktivieren soll. Es findet ganz viel Wahrnehmungs- und Kennenlern-Arbeit statt. Und auch ganz wichtig ist die Atmung, zur Unterstützung der Wundheilung.

 

Wann kann der Patient damit rechnen wieder „dicht“ zu sein?

Das ist die Frage, die jedem auf dem Herzen liegt. Und das wird sich von Person zu Person unterscheiden. Genauso wie sich die Aussage von Arzt*in zu Arzt*in oder Therapeut*in zu Therapeut*in unterscheiden wird. Oft einhergehend hiermit ist auch die Frage, wann man wieder Fahrrad fahren darf. Und auch hier gehen die Meinungen auseinander. Zum Fahrradfahren hört man oft die Angabe zwischen 3 und 6 Monaten und zum „trocken sein“ ist das sehr individuell. Die Operateure würden

sagen, wenn ich nach 12 Monaten Therapie noch keine Verbesserung verspüre, würde man eine erneute Diagnose stellen. Also alles, was sich um und bei in dem Rahmen eines Jahres abspielt, ist als normal zu betrachten.

 

Das heißt ich habe die OP und die AHB mit den 3 Wochen abgeschlossen, bin ich danach noch krankgeschrieben oder muss ich dann mit Vorlagen wieder arbeiten gehen?

Das ist ein spannendes Thema. Wir sprechen hier von 12 Monaten die normal sind und da ist der Krankenhausaufenthalt und die OP nur ein zwölftel der Zeit. In vielen Fällen ist die Krankschreibung nach der Reha für 14 bis manchmal 21 Tage. Dann

finden oft Gespräche über eine Wiedereingliederung statt. Das heißt, dass man zu Beginn vielleicht nur 3 Stunden pro Tag arbeitet und das Pensum dann Stück für Stück wieder steigert. Wichtig ist natürlich auch zu schauen, welche Anforderungen

ich habe. Wenn ich in der Reha schon merke, dass es ein paar Alltagsbewegungen gibt, bei denen ich Urinverlust habe, die meine Arbeit aber als Anforderung an mich stellt, wäre der nächste Schritt zur ambulanten Physiotherapie. Ich erinnere

beispielsweise einen LKW-Fahrer, der war trocken, nur bei dem Großen Schritt beim Ein- und Aussteigen hat er noch lange Urin verloren. Und da muss man schauen, welche Alltagsbelastungen gibt es und wie verhält es sich dabei. Man merkt innerhalb der 3-wöchigen Reha schon viele Fortschritte, ob es bei der Häufigkeit der Toilettengänge ist oder allgemein, dass der Urinverlust weniger wird. Und dann kommt der Paukenschlag Alltag, wo man dann eben nochmal merkt, was

eventuell noch nicht so gut funktioniert. Und genau dort würde dann auch die ambulante Physiotherapie ansetzen.

 

Wie ist es denn in der Anschlussheilbehandlung, wird da auch über Erektionsstörungen oder Impotenz gesprochen? Gibt es da andere Übungen für?

Also tatsächlich geht das in meinen Augen mit einher. Je besser die Durchblutung im Beckenraum ist, desto mehr Durchblutung habe ich auch in den Nerven. Je nachdem wie die Indikation ist, kann hier auch mit Hilfsmitteln wie zum Beispiel Penisringen, gearbeitet werden. Das Ziel ist dabei immer den Penis passiv besser zu durchbluten und somit eine höhere Steifheit zu erreichen. Es gibt auch noch die Form der Elektrotherapie, dass dabei die Nerven wieder mehr stimuliert werden. Man kann, wenn man sich gut darauf einlassen kann, auch mit klassischen physikalischen Anwendungen arbeiten, dass man sich zum Beispiel Wechselbäder zur Durchblutungsförderung nutzt. Als letzte Möglichkeit gibt es dann natürlich auch noch

die medikamentöse Behandlung.

 

Wenn es dann die eigene Sexualität betrifft, betrifft es ja auch häufig die Partnerschaft. Gibt es da irgendwelche Einschränkungen? Oder darf ich rein theoretisch schon während der AHB die Hand wieder anlegen und ab wann darf ich wieder versuchen Sex zu haben?

Spannende Frage. Tatsächlich sind da die ärztlichen Aussagen durchaus unterschiedlich, aber das gängigste ist, wenn es dir nicht weh tut und wenn du dich in dem Moment emotional darauf einlassen kannst, dann spricht nichts dagegen, denn am Penis an sich ist ja nichts kaputt gegangen. Und es ist auch keine OP-Wunde im Bereich des Penis vorhanden. Die meisten lassen sich aber ein wenig Zeit. Grundsätzlich spricht aber nichts dagegen, wenn man sich danach fühlt.

 

Kann ich noch einen Orgasmus haben und kann ich noch ejakulieren ohne Prostata?

Ja, aber das Ejakulat verändert sich. Ganz oft ist das Ejakulat von der Farbe und Konsistenz etwas klarer und flüssiger. Und auch der Orgasmus kann noch stattfinden. Erogene Zonen gibt es ja auch woanders am Körper und gerade innerhalb einer Partnerschaft gibt es Wege die Lust miteinander zu erfahren und zu erforschen. Als Tipp gebe ich da gern mit die ersten Versuche mit Kondom zu machen, weil die Beckenbodenmuskulatur oft noch nicht so gut arbeitet und somit beim Orgasmus

auch Urin mit abgehen kann und das vielen natürlich auch unangenehm ist.

 

Was ist dir noch besonders wichtig den Menschen mitzugeben?

Ich würde sagen, wenn man im Umfeld mitbekommt, dass diese Diagnose gestellt wird, sich selbst als Gesprächspartner anbieten oder auch anmerken, dass es eben Fachtherapeut*innen gibt, bei denen man sich schon vor der Operation Hilfe holen kann. Und dass man sich nach einer Reha nicht damit zufrieden geben sollte, wenn man merkt, dass man noch etwas braucht, um entspannt durchs Leben zu gehen, das auch entsprechend einzufordern. Eine Verordnung für die Therapie kann man beim Urologen oder beim Hausarzt holen.

Eine Liste zur Übersicht der Therapeuten findet ihr hier: www.agggup.de

 

Sophia, wie erreiche ich dich?

Du erreichst mich über www.physiolounge-raubling.de oder bei Instagram: @Physiolounge_Raubling


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