Beckenboden To Go – Folge 35: Bettnässen

Was ist Bettnässen?

Bettnässen betrifft eigentlich frühestens Kinder ab 5 Jahren, wenn ein Kind mindestens zweimal im Monat über eine Zeitraum von 3 Monaten ins Bett macht. Dann ist der erste Schritt erstmal der Weg zum Arzt, wenn hier organisch festgestellt wird, dass eventuell bei der Blase oder anderen Organen etwas nicht richtig ausgeprägt ist, dann spricht man von Bettnässen. 

 

Es gibt beide Formen des Bettnässens, einmal, dass das Kind noch nicht trocken ist oder wenn das Kind mindestens ein halbes Jahr verlässlich trocken war. 

 

Ursachen können sowohl psychisch als auch körperlich sein und das sollte man im ersten Schritt herausfinden. 

 

Das Bettnässen ist etwas was das Selbstwertgefühl des Kindes angreifen kann, die Eltern sind auch mal genervt oder überfordert und dann kann es auch mal zum Streit kommen, was eigentlich sehr schade ist, weil gerade hier brauchen die Kinder jetzt Unterstützung. 

 

Was muss passieren, damit ein Kind überhaupt trocken ist?

Auf der einen Seite ist ja alles, was wir lernen und steuern können, im Gehirn verankert. Das heißt wir lernen auch, wie wir unsere Blase und den Beckenboden steuern können. Da scheiden sich auch die Geister, es gibt die einen, die sagen, dass die Kontrolle bereits ab Geburt möglich ist und andere, die sagen, dass es sich bis zum 5. Lebensjahr ausbildet. Irgendwo haben in meinen Augen vermutlich beide Recht. Wäre es nur ein Reflex, dann könnten man ja gar nicht steuern, wann man auf Toilette geht. Kinder machen sich ja auch schon im Säuglingsalter bemerkbar, wenn sie auf Toilette müssen, weil da was drückt und fangen dann an zu schimpfen oder schreien, um sich bemerkbar zu machen. Oft gerät das dann im Laufe der Entwicklung etwas in den Hintergrund, weil die motorische Entwicklung wichtiger erscheint und auch weil die Windel da ist, aber an sich kommunizieren Kinder meist von Beginn an, dass sie sich erleichtern müssen. Und im Laufe der Zeit kommt dann die Selbstbestimmungsphase, in der die Kinder dann entscheiden, dass sie keine Windel mehr wollen und da müssen sie dann wieder lernen auf ihren Körper zu hören, so dass die Ausscheidungen dann auch in der Toilette landen. 

 

Hast du eine Idee wie man mit seinem Kind die Wahrnehmung üben kann? 

Eine Übung, die ich den Kindern bzw. Eltern immer gern mitgebe ist die Frage: Wie weißt du denn überhaupt, dass du auf Toilette musst? Die einen schauen mich an und sagen keine Ahnung, was fragst du mich denn überhaupt? Ich geh, wenn mich die Mama schickt. Oder genau das ist der Streitpunkt, dass die Mutter die ganze Zeit schickt und 5 Minuten später ist dann doch die Hose nass. Und dafür ist es ganz wichtig zu schulen, warum musst du auf Toilette? Spiele auch gern mal Detektiv, finde heraus warum deine Mama, dein Papa, deine Oma oder Opa auf Toilette gehen. Der eine sagt ggfs., weil es drückt oder kneift, andere antworten sie gucken auf die Uhr etc.

Bettnässen ist im Endeffekt das Ergebnis vom Tag. Ich brauche eine Übersicht von 48 Stunden, damit ich weiß, wie die Blase am Tag arbeitet oder trainiert wird. Als erstes schaue ich dann, ob das Kind eine Verstopfung hat. Das ist für viele auch verwirrend, dass ihre Kinder regelmäßig auf Toilette gehen, aber eventuell doch verstopft sind. Hier hilft dann manchmal ein Einlauf oder einfach das Toilettentraining. Wie bringe ich den Stuhl raus, ohne zu pressen?

 

Was hat Bettnässen mit Hormonen und Hirnreife zu tun?

Der Hormonmangel ist ein Mythos der bei vielen im Kopf ist. Das Hormon hilft, damit die Nieren in der Nacht weniger Urin produzieren. Dass der Körper lernt dieses Hormon zu bilden, passiert in der Regel in den ersten 5 Jahren. Aber dem Hormon wird oft zu viel zugeschrieben, dass wenn man Bettnässer ist, gesagt wird, dass nicht genug von diesem Hormon gebildet wird. Letztendlich sagt dieses Hormon den Nieren, dass wir genug Flüssigkeit haben und dass Urin gebildet und somit das Blut gewaschen werden darf oder andersherum, dass man eben nicht genug Flüssigkeit hat und kein Urin gebildet werden soll. In der Nacht soll dieses Hormon mehr produziert werden und somit den Nieren sagen, scheidet weniger aus, damit wir schlafen können. Bei Kindern wird dann oft gesagt, dass es zu wenig von diesem Hormon gibt, weil in der Nacht zu viel Urin produziert wird. Das kann stimmen, muss es aber nicht. Überprüft werden kann das anhand einer Blutanalyse. Aber ich muss dazu auch noch schauen, wie sieht es am Tag mit den Toiletten- und Trinkgewohnheiten aussieht. Wenn das Kind beispielsweise den ganzen Tag nichts trinkt und erst abends, wenn es zur Ruhe kommt, merkt, dass es Durst hat und dann ganz viel trinkt, dann ist es ja klar, dass das Kind in der Nacht zur Toilette muss, daher ist das Trinkverhalten untertags auch immer ganz wichtig zu beobachten. Wenn das am Tag schon auffällig ist, dann sollte man nicht direkt dem Hormon die Schuld zuweisen.

 

Wie kann denn jetzt eigentlich Physiotherapie dabei helfen?

Also Physiotherapeuten sind Bewegungs-, Muskel- und Faszienexperten und auch die Blase ist ein Muskel. Und die Blase wird auch durch den Beckenboden gesteuert. Und ganz viele kommen drauf und machen sich an und spannen dann den Beckenboden an, weil sie sich nicht anmachen wollen. Diese Dauerspannung beeinflusst natürlich auch den Toilettengang. Tagsüber bekommt man zu wenig Flüssigkeit, die Blase wird immer kleiner und am Abend wird sie dann gedehnt und es kann in der Nacht schief gehen. Das kann Physiotherapie beeinflussen, in dem das Kind lernt, wie man anspannt und auch entspannt. Es gibt auch viele Kinder, die keine Bauchatmung mehr können, weil sie viel zu angespannt sind. Da liegt es an den Therapeuten herauszufinden, wo genau die Einschränkungen liegen. Oftmals liegt das auch in der Halswirbelsäule, dass es dort eine Einschränkung gibt. Das kann durch die Geburt oder aber auch durch Stürze beeinflusst werden. Man sollte sich immer das ganze Kind von Kopf bis Fuß anschauen, um zu sehen, wo die Schwierigkeiten liegen. 

 

Wie sieht es mit dem Mythos aus, dass Bettnässen genetisch ist?

Jein. Es ist nicht nur genetisch bedingt, es gibt ganz viele, die keine Verwandten haben, die betroffen sind. Es gibt eindeutig Gene, die bei Bettnässern nachgewiesen worden sind, ändert aber nichts daran, dass wir Gene nicht verändern können. Man glaubt immer, dass das Kind, wenn es inkontinent eine zu schwachen Beckenboden hat, meist ist es aber ein Beckenboden, der eine zu große Spannung aufweist. Den Kindern wird oft alles Mögliche erklärt und benannt, nur beim Beckenboden und beim Intimbereich wird die Erklärung gern ausgelassen oder umschrieben. Und den Kindern muss beigebracht werden, wie die Geschlechtsorgane heißen, dass man Vulva und Penis sagen darf und dass es etwas ganz Natürliches ist. Und Bettnässe muss sich nicht über die Jahre „verwachsen“. Man kann auch vorher hier in Absprache mit dem Kind schon einige Schritte unternehmen. Wir sollte aufhören das Thema zu tabuisieren und normal mit unseren Kindern darüber sprechen, denn wenn wir uns als Erwachsene schon schämen darüber zu sprechen, verlangen wir unseren Kindern ja noch viel mehr ab. Wir sollten auch Weg von dieser Leistungsgesellschaft, nach dem Motto ich mach jetzt 6 mal Physio und dann muss das klappen, sondern das man sich einen leeren Raum schafft und sich Zeit für sich und sein Kind nimmt. Die Wahrnehmungsschulung und das Erforschen des Körpers kann etwas so Bestärkendes haben. Auch für die Erwachsenen. 

 

Du hast ein Kind nun in der Behandlung, wie gehst du da vor?

Das erste ist die Terminvereinbarung, bei der ich schon direkt das 48 Stundenprotokoll anfrage. Beim ersten Termin frage ich dann das Kind, ob es weiß, warum es da ist. Dann frage ich, wie viel das Kind am Tag trinkt und rechne auch gemeinsam aus, wie viel Wasser man am Tag trinken sollte. Und dann schauen wir, wie der Körper des Kindes mit Wasser versorgt wird und zeige anhand dessen auch auf, was eventuell nicht so richtig gut läuft. Dann schauen wir vor dem Spiegel von Kopf bis Fuß, was auffällt. Zum Beispiel, dass eine Schulter höher ist oder Kopf in die eine oder andere Richtung geneigt ist. Anhand dessen erkläre ich dann, was vorliegt. Ich schaue auch wie beweglich das Kind ist. All das kann man auch spielerisch machen, da darf man als Kindertherapeut*in gern kreativ werden. 

 

Was hältst du von Klingelmatten oder dem Bettnässen-Alarm?

Das ist eine Möglichkeit die viele Ärzte oder Zentren empfehlen. Man nennt das die apparative Verhaltenstherapie. Das heißt, dass man nachts ein Zeichen bekommt. Einige der Kinder, die bei mir in Behandlung sind, haben dies auch schon ausprobiert aber ich habe da auch oft die Berichte bekommen, dass die Kinder sich sehr erschrocken haben oder das ganze Haus wach geworden ist, nur das Kind nicht. Ich als Therapeutin sage: Nein, nutzt das bitte nicht. Weil es irgendwo eine Bestrafung ist. Weil ein Alarm losgeht und es verändert nichts am Tag. Die Nacht ist zum Schlafen da.

 

Wie erreiche ich dich?

Ich arbeite in Österreich in meiner Praxis, biete aber auch Online-gespräche an. Die Online-Termine sind dann keine Physiotherapie in dem Sinne, sondern Gespräche. Ich kann auch keine Rezepte oder Verordnungen aus Deutschland annehmen.

 

Gibt es noch etwas, was du den Menschen mitgeben möchtest?

Meine Kernbotschaft ist: Dein Kind ist nicht schuld und macht das nicht absichtlich und auch du darfst dir Unterstützung holen. Du bist nicht alleine!


Neugierig geworden?

Kommentar schreiben

Kommentare: 0