Beckenboden To Go – Folge 14: Endometriose

Was genau ist Endometriose?

Endometriose ist eine Erkrankung, die vor allem Frauen im gebärfähigen Alter betrifft. Es sind etwa 10% der Frauen betroffen. Somit sind mehr Menschen von Endometriose betroffen als von Diabetes. Was passiert ist, dass Zellen, die der

Gebärmutterschleimhaut ähnlich sind – nicht gleich, das ist in dem Zusammenhang sehr wichtig-  die außerhalb der Gebärmutter wachsen.  Das kommt häufig im kleinen Becken vor. Bspw. außen an der Darmwand, außen an der Gebärmutter oder außen an der Blase. Das kann sich aber überall in den

Körper streuen. Die häufigsten Stellen sind meist dicht an der Gebärmutter, aber es kann sich überall hin verteilen. Es gab auch schon Fälle, da wurden die Zellen am Zwerchfell oder der Lunge gefunden. Diese Zellen bilden so kleine Herde,

die oft auch entzündlich sind. Und auch hormongesteuert finden dort zyklusbedingt Veränderungen statt. Das kann auch zu vielen Beschwerden führen.

 

Wie sind die Symptome der Endometriose?

Leider total unterschiedlich. Daher wird es auch das Chamäleon der Erkrankungen genannt. Die häufigsten Symptome sind sehr starke Monatsblutung, extreme Regelschmerzen mit Ohnmachtsanfällen, sogar Krankenhausaufenthalten. In den

meisten Fällen auch Verdauungsbeschwerden. Inwiefern sich das beeinflusst und was „zuerst da war“, ob Endometriose oder die Verdauungsprobleme ist nicht ganz geklärt, aber häufig geht beides Hand in Hand. Aber es können auch ganz andere Beschwerden sein. Beispielsweise Schulterschmerzen, wenn die Endometriose z.B. am Zwerchfell ist. Aufgrund der Vielseitigkeit ist eine Diagnose auch oftmals sehr schwer. Da kann es sein, dass man mit Schulterbeschwerden zum Chiropraktiker geht und dann heißt es, es sei Stress oder man bilde sich die Schmerzen ein. Man muss das Gesamtbild betrachten, um eine wirkliche Einschätzung zu erhalten.

 

Wer kann mir die Diagnose stellen?

Die Verdachtsdiagnose stellt im guten Fall die Frauenärztin oder der Frauenarzt. Eine gesicherte Diagnose bekommt man nur durch eine Operation, also eine Laparoskopie. Das heißt man sticht in den Bauch und nimmt Proben der Endometriose Herden und muss das dann ins Labor schicken. Erst wenn das Labor die Zellen erkennt, kann eine richtige Diagnose gestellt werden. Aber im Laufe der Operation werden eigentlich bereits alle Herde entfernt. Bei der Operation gibt es verschiedene Techniken. Man kann das entweder durch eine Verbrennung „wegbrennen“ oder rausschneiden. In Amerika sagen sie, die „richtige“ Variante ist das rausschneiden und nicht nur oberflächlich zu verbrennen. Da ist man in Deutschland aber noch anderer Meinung und die Wissenschaft ist da einfach noch nicht so weit, das auch wirklich final zu belegen. Die Operation mit der Sanierung ist eine Möglichkeit der „Therapie“. Aber die Endometriose ist bisher nicht heilbar. Wenn jemand ein Heilversprechen dafür gibt, dann ist das eine Red Flag und sollte nicht in Anspruch genommen werden. Es gibt viele tolle Therapiemöglichkeiten, viele verschiedene Ansätze, die Symptome in Griff zu bekommen und damit die Lebensqualität wieder zu steigern. Aber auch da muss man vorsichtig sein, nicht alles hilft für jeden. Aber eine Heilung in dem Sinne gibt es nicht. Man kann die Herde durch Operation entfernen, aber dennoch ist es wichtig auch danach weiterhin die Symptome zu

therapieren.

 

Die chronischen Schmerzen bleiben ja oft auch nach der Operation.

Kannst du darauf noch etwas mehr eingehen?

Das ist tatsächlich etwas, was ich häufig sehe. Die Frauen kommen nach der OP zu mir und fragen sich, wie das sein kann, dass sie nach wie vor Schmerzen haben. Aber es ist leider nicht so, dass nach der OP alles gut ist. Es ist eine große Bauchraum Operation, auch wenn es nur kleine Einstiche gibt. Innerlich hat ja viel mehr stattgefunden. Manchmal müssen ja auch Teile von Organen entfernt werden und dieser Eingriff braucht einfach Zeit sich zu heilen, manchmal auch bis zu einem Jahr.  Der erste Faktor ist also, dass man sich erstmal von den Verletzungen erholen muss. Hier mangelt es leider oft noch an Aufklärung in den Kliniken. 

 

Der zweite Faktor ist, wir lernen als Menschen alles, was wir oft genug wiederholen. Daher lernen wir leider auch Symptome zu produzieren. Oft ist es anfangs so, dass wir Herde haben, der Entzündungsreaktionen hat und es entstehen Symptome aufgrund dieses Herdes. Das können zum Beispiel Schmerzen, Blähungen, Übelkeit oder Krämpfe sein. Alles Mögliche an

Symptomen kann sich entwickeln. Mit der Zeit, wenn es lange genug anhält, verselbständigt sich dann das Symptom und das Symptom selber wird zum Problem und ist mit einmal unabhängig von dem ursprünglichen Entzündungsherd. Also selbst, wenn ich den Herd entferne, ist dieses Symptom noch eigenständig vorhanden. 

 

Und das ist auch das, wo ich meine Aufgabe als Physiotherapeutin sehe. Ich kann nicht operieren oder ähnliches, was ich aber

machen kann ist den Körper und Mensch als Gesamtes dabei zu unterstützen die Symptome zu ent-lernen. Die Symptome sind ja in erster Linie einmal für uns da, als Warnsignal. Ohne Schmerzen brechen wir uns bspw. Knochen ohne es zu

merken. Die Menschen, die ohne schmerzempfinden geboren werden, haben häufig leider auch ein kürzeres Leben. Das heißt, der Schmerz will uns beschützen und soll als „Alarmsystem“ nutzen.

 

Als Beispiel können wir uns eine Alarmanlage vorstellen. Diese habe ich für Einbrecher eingerichtet. Wenn jetzt ein paar Mal eingebrochen wurde, dann wird das System sensibler und schlägt früher an. Irgendwann dann überspitzt gesagt auch bei einer Fliege. Und dann tut das System nicht mehr wirklich das, wofür es eigentlich installiert wurde. Und genauso können wir uns das auch bei unserem Körper vorstellen. Anfangs ist der Schmerz, richtig und wichtig und schützt uns. Aber irgendwann lösen diese Symptome aus, auch wenn der Reiz, der gesetzt wurde, nicht wirklich „ausreichend“ ist. Zum Beispiel die Berührung der Haut. Und genau das sehe ich als meine Aufgabe, hier Betroffenen zu helfen, dass das System wieder besser

arbeitet, uns schützt und eben nicht zu früh aktiv wird.

 

Wie genau unterstützt du Betroffen dabei?

Die Atmung spielt eine große Rolle. Es wird das bewusste Atmen geübt, meist schon sehr früh in der Therapie. Weil das einfach regulierbar ist und auch unabhängig von den Symptomen geübt werden kann. Das heißt die Atmung ist ein gutes Tool für den Einstieg, wenn man im betroffenen Bereich noch nicht direkt arbeiten kann. Zudem hat es eine schöne ganzheitliche Wirkung auf den Körper. Ich arbeite sowohl lokal, auch durch die Zwerchfellatmung, als auch systemisch in Richtung entspannend und entzündungshemmend. Dann arbeite ich mit meinen Händen manuell im Operationsgebiet, wenn es

wieder geht. In der Regel sollte man etwa 6 Wochen warten, für die akute Wundheilung. Es kommt aber auch immer ganz individuell auf die eigene Geschichte an, wann ich in welcher Form behandeln kann. Da kommt es dann auch häufig auf die Muskelentspannung an, denn häufig sind Betroffene sehr verspannt. Was auch einfach daran liegt, dass diese oft jahrelang unter Schmerzen litten. Dadurch sind die Muskeln oft auch sehr fest. Es gibt keine Wunderheilung. Es ist oft ein langer Prozess, der sich eher schleichend einstellt und nur funktioniert, wenn mal als Team arbeitet und die Patient*innen auch zu Hause weiter daran arbeiten. 

 

Häufig kommen Frauen auch mit Schmerzen beim Geschlechtsverkehr zu mir. Da gibt es einmal den Anstoß Schmerz hinten bei der Penetration, da sind häufig die Auslöser eines Herdes im Douglas Raum und wenn da dann noch etwas gegenstößt, verursacht das Schmerzen. Als Lösung gibt es dafür den Onut, das sind Penisringe, mit denen man die Eindringtiefe regulieren kann.  Das zweite sind Schmerzen beim Eindringen am Anfang. Das hat meist die Ursache, dass die Nerven sehr sensibel sind oder die Muskeln sehr verhärtet. Je nachdem wie intensiv diese Beschwerden sind, arbeite ich zum Teil auch vaginal. Hierfür gibt’s beispielsweise Workshops von mir, wie man das zu Hause auch gut alleine machen kann. Jedoch sollte das nur als begleitende Therapieform genutzt werden. Es ist auch sehr wichtig, dass zu Hause eine Form der Behandlung stattfindet, weil die Termine einmal im Monat bei der Physio einfach nicht ausreichen, um nachhaltig Beschwerden zu lindern. Neben den muskulären Behandlungen ist auch die Wahrnehmung wirklich wichtig. Ich habe oft den Eindruck, dass Frauen oft noch eine große Hemmschwelle zum Thema Beckenboden, Sexualität und Selbstbefriedigung haben. Frauen erkunden sich eher weniger, im Gegensatz zu den Männern. Viele Frauen berichten in den Behandlungen, dass sie sich selber noch nie intern

angefasst haben, ob nun im sexuellen oder nichtsexuellen Kontext. Und da ist es mir wichtig, die Scham sein zu lassen und entsprechend aufzuklären. Das es was Schönes, Tolles ist, was man gern erkunden darf. Denn irgendetwas zu verändern, wovon man keine detaillierte Vorstellung hat, ist so viel schwerer. Denn wenn ich nicht weiß, wo ich hinwill oder wovon ich wegwill, weiß ich auch nicht genau was ich tun muss. Deswegen ist die Wahrnehmung sehr wichtig. Menschen mit Penis kommen viel häufiger in Kontakt mit diesem. Schon allein beim Toilettengang, während Frauen sich das mit Papier abtupfen. Und damit fängt es ja schon an. Dabei ist es total schön die verschiedenen Stellen im Körper zu erkunden. Da ist es wichtig sich einfach zu trauen und vielleicht auch einfach mal angeleitet auf eine Entdeckungstour zu gehen. Ich selber habe mich auch erst bewusst abgetastet, als ich mich selber beruflich damit Beschäftigt habe und mittlerweile ist es etwas ganz Normales für mich. Am Anfang war da ein stück weit der Überwindung und Zurückhaltung. Ich selber musste 25 Jahre alt werden, um beispielsweise zu wissen, wie genau eine Klitoris eigentlich aussieht. Falls ihr denkt ihr wisst es, googelt doch an

dieser Stelle einfach mal. Und das ist doch auch einfach ein Zeichen dafür, wie wenig wir als Frauen über unseren eigenen Körper wissen.

 

Was hältst du von Übungen bei Endometriose? Kannst du vielleicht auch welche empfehlen?

Am Anfang würde ich auf jeden Fall Abstand von Anspannungsübungen nehmen, wenn die Wahrnehmung noch nicht da ist.

Was ich gern mache sind Dehnübungen und Hüftöffner aller Art. Ich empfehle gern Yin Yoga weiter. Also langsame, dehnende, atmungsverbindende Übungen. Selber abtasten oder auch eine Umkehrhaltung, also dass das Becken höher ist

als der Körper oder aber auch die tiefe Hocke wende ich gern an, aber auch das ist immer individuell und kann man auch nicht pauschal jeder empfehlen. Ich passe das immer auf die Lebenssituation und auch die sportlichen Ziele der

Patientin an. Aber alles was die Wahrnehmung, die Beweglichkeit und die Atmung fördert ist grundsätzlich erstmal eine Empfehlung wert.

 

Wenn dich das Yin Yoga interessiert, dann schaue gern hier vorbei und gucke dir das Kursangebot aus dem Bewegungszentrum an.

 

Was für Möglichkeiten habe ich, wenn ich mit dir arbeiten möchte?

Ich habe eine Praxis in Frankfurt. Hier darf man gern Termine machen und vorbeikommen. Hier gibt es eine 1:1 Betreuung und das ist in meinen Augen auch immer das zielführendste. Alle die nicht bei mir in der Umgebung sind,

schaut gern auf die Liste der AG-GGUP, um Spezialist*innen in eurer Umgebung zu finden.

 

Ansonsten habe ich bei Instagram beispielsweise eine Aufzeichnung meines Pelvic-Mapping-Workshops. Bei Instagram erreicht ihr mich unter: physiotherapie.fuer.frauen

 

Was würdest du in einem Satz den Betroffenen gern noch mitgeben?

Glaubt an euch, hört auf euch und euren Körper. Ihr seid die Expert*innen für euch und euren Körper. Wenn euer Körper, euer Bauchgefühl sagt, da ist irgendwas, dann geht dem nach, vertraut auf euch und lasst euch nicht entmutigen. Auch wenn man dann ggfs. mal den Gesundheitserbringer wechseln muss.

 

Vielen Dank liebe Annika, für das Interview!

Annika findest du hier: www.ac-physio.de


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