Beckenboden To Go – Folge 15: Endometriose und Sexualität

Heute begrüßt das Bewegungszentrum Norderstedt im Podcast „Beckenboden

to go“  Naila Rediske.  Naila arbeitet als Sexualtherapeutin und hat sich auf Menschen mit

Endometriose spezialisiert.

 

Einen Blog zum Thema Endometriose findest du hier.

 

Und den entsprechenden Podcast findest du hier.

 

Was genau ist Endometriose? 

Endometriose ist eine Erkrankung, die chronisch verläuft. Es kommt zu Zysten und Entzündungen (den sogenannten Endometrioseherden). Die entstehen durch ein Gebärmutterschleimhaut ähnliches Gewebe. Bis vor kurzem dachte man noch, das Gewebe wäre die Gebärmutterschleimhaut selbst. Diese Verwachsungen können bei manchen Menschen im gesamten Bauchraum auftreten. Meist geht es eher um die Gebärmutter, die Eierstöcke und den Darm. Es gibt aber auch Fälle, da wurden Endometriose Verwachsungen am Zwerchfell oder am Herzen gefunden. Diese Krankheit ist sehr individuell, mit unterschiedlichen Symptomen und tritt auch in unterschiedlicher Schwere auf. Die Diagnose an sich kann aktuell leider nur über eine Operation stattfinden und diese Operation ist teilweise nicht ganz ohne. Die Krankheit an sich ist nicht heilbar. Auch wenn es online andere Versprechen geben mag, traut hier der Wissenschaft und lasst euch nicht in die Irre führen.

 

Warum macht es Sinn über Endometriose und Sexualität zu sprechen?

Das macht viel Sinn, weil die Symptome sehr unterschiedlich sind. Die können zum Beispiel sein: Schmerzen während der Sexualität, Schmerzen während der Penetration, Schmerzen beim tiefen Eindringen (Anstoßschmerzen) oder es kann auch sein, dass Nerven so betroffen sind, dass sogar das äußere streicheln der

Vulva schmerzen verursacht. Zudem kann es sein, dass es durch die Angst, die durch diese Krankheit entsteht, zu Verspannungen und somit zu mehr Schmerzen führt. Es kann auch sein, dass Menschen gar keine Schmerzen haben, aber psychisch einfach sehr belastet sind durch die Erkrankung und dadurch nicht in ein Lustgefühl kommen.  Was ja auch sehr verständlich ist, denn wie soll zu Hause Lust aufkommen, wenn ich tagsüber von Arzt zu Arzt renne oder eventuell eine Operation hinter mir habe. Da macht Sexualberatung sowie -Therapie auf jeden Fall Sinn, da Menschen oft mit ihren Problemen, Ängsten und ihrer Scham alleine gelassen werden. Es gibt in meinen Augen noch viel zu wenig Aufklärung und zumeist dann online. Und gerade die Online-Angebot können nicht so individuell sein, wie das Krankheitsbild an sich. Sexualität lebt sich ja ohne Endometriose schon sehr individuell aus, wenn da dann noch die Krankheit dazu kommt, ist die Herausforderung sehr groß in

meiner eigenen Sexualität anzukommen. Wenn man beispielsweise weiß, was man eigentlich möchte, dabei aber Schmerzen empfindet, kann das schon sehr frustrierend sein und erschwert es natürlich zu sich zu finden. Und genau hier ist die Aufklärung so wichtig. Den Betroffenen zu zeigen, dass sie ganz viele Möglichkeiten haben, ihre Lust zu leben. In der Sexualtherapie hat man ganz viel Raum um die Fragen zu klären „wer bin ich?“ und „was möchte ich?“.

 

Als Beispiel:

Frisch nach einer Operation mit Schmerzen aber auch Ängsten danach, ist es eine andere Situation, als wenn du die Erkrankung bereits seit 5 Jahren mit Symptomen hast, dich aber gegen eine Operation entscheidest. Das ist natürlich eine ganz andere Ausgangssituation. Jeder Mensch bringt ganz andere Dinge in die Sexualität mit und die Endometriose bringt auch nochmals ganz andere Dinge mit. Da ist es wichtig, sich die Zeit zu nehmen und sich selbst auch wichtig genug zu nehmen. Sexualität, egal ob von Endometriose betroffen oder nicht, ist individuell und diese Sexualität ausleben zu wollen (oder auch nicht) ist eine eigene Entscheidung. 

 

Gerade wenn man noch auf der Suche ist und von Arzt zu Arzt läuft und noch nicht weiß, wohin mit sich selbst, da denken vermutlich erstmal die wenigsten an Sex, oder?

Absolut richtig. Und es ist auch in Ordnung in dieser Situation nicht an Sex zu denken. Genauso, wie es in Ordnung ist an Sex zu denken. Wichtig ist es, dass man hier den Druck rausnimmt und in Ruhe guckt, was geht und was nicht geht.

 

Du hattest eingangs erwähnt, dass man auch schauen soll, ob man richtig aufgeklärt ist. Hast du da etwas Bestimmtes im Kopf gehabt?

Schon. Es gibt beispielsweise aktuell die Änderung, dass die Klitoris mittlerweile anders und vor allem korrekt in Schulbüchern dargestellt wird. Also auch zu schauen, ob man anatomisch korrekt aufgeklärt ist, mit dem was man weiß. Aber auch die Aufklärung, was Sex sein kann. Sex ist nicht nur Penetration in einer Beziehung. Es ist wirklich wichtig, für sich zu gucken, wo meine Lust herkommt, was fördert bei mir Lust und wo fühle ich mich nach „ich möchte mehr“. Auch sich selbst zu berühren und herauszufinden, was mag ich und was mag ich nicht,

ist Sex. Genauso wie die Feststellung: Ich möchte gerade gar keinen Sex. Was oft vergessen wird, gerade bei der Aufklärung der Endometriose, es betrifft nicht nur Frauen, sondern Menschen mit einem Uterus und einer Vulva und das sind eben nicht nur Frauen. Gerade in der Sexualtherapie und Aufklärung in der Endometriose ist es wichtig, dass keine Menschen ausgegrenzt werden, weil gerade die Betroffenen sowieso schon so viel ausgegrenzt werden. Sexualität ist auch was bin ich für ein menschliches Wesen auf der Welt? Und auch was bin ich für ein sexuelles Wesen? Das darf – aber muss man nicht – gern ausleben und herausfinden.

 

Wenn ich mir Gedanken darüber gemacht habe, was ich möchte, wie komme ich dann in die Handlung?

Ich persönlich finde gerade in Bezug auf die Endometriose, dass man erstmal vom Gegenüber den medizinischen Verlauf sowie die Symptome kenne muss, um auch richtig beraten zu können, wie man in die Handlung kommt. Daher ist es auch schwer hier pauschal etwas zu antworten. Es gibt natürlich Menschen, die haben bereits ganz viel Erfahrung und ein gutes Körpergefühl aber haben Schmerzen beim Eindringen eines Penis oder Sex-Toys.

Dann ist da der Anfang ein anderer, als bei den Menschen, die erstmal ein gutes Körpergefühl bekommen müssen. Also auch hier ist die Individualität ganz großgeschrieben.

 

Wie fängt man also an: In dem man sich ganz in Ruhe mit seiner eigenen Sexualität auseinandersetzt und erspürt und darüber spricht, was der beste nächste Schritt sein kann. Pauschale Antworten bzw. Empfehlungen für den nächsten Schritt können schnell nach hinten losgehen und die Scham steigern, weil es nicht für jeden Menschen der richtige nächste Schritt sein muss. Es kann gut sein, muss es aber nicht.

 

Gibt es etwas, wo du etwas allgemeiner sprechen kannst, was grundsätzlich gilt? Sachen wie „Lass dir Zeit“ und „starte langsam“? Was würdest du allgemeiner gefasst Endometriosebetroffenen sagen?

Was ich einen schönen Gedanken finde ist: „Wie sorgst du im Alltag für etwas, das dir Freude oder Lust bereitet?“ und das löse ich von der Sexualität. Du bist eine Woche in deinem Alltagstrott gefangen, wie sorgst du dafür, dass du wieder lachst und den Stress abschüttelst und es dir gut geht? Das ist der erste Schritt, denn aus der Stresssituation rein in die Lust ist einfach schwierig. Als nächstes kann man dann in sein Körpergefühl gehen: Wann fühle ich mich gut und geborgen? Ist es wirklich nur das Schlafzimmer? Vielleicht auch nur abends

bei gedimmtem Licht? Und da dann auch zu gucken, was brauche ich um mich herum, wie muss mein Umfeld sein? Kann ich direkt vom Büro nach Hause kommen und ins Bett? Fühle ich mich dann gut? Brauche ich das eventuell um Stress abzubauen? Es geht also sehr viel darum, sich selbst Fragen zu stellen.

 

Beginnen sollte man mit: Wann fühle ich mich wohl? Und dann auch, bei welchen Berührungen fühle ich mich wohl? Und dann geht es um das Erforschen. Von Sex-Toys würde ich persönlich an dieser Stelle erstmal abraten, sondern erstmal in die Selbstberührung gehen. Für Menschen mit Endometriose ist auch ganz wichtig, wenn es um Sex-Toys geht: Die Erkrankung an sich ist kein Hindernis für Sex-Toys, aber achtet hier besonders auf euren Körper. Es können tolle Hilfsmittel sein, es kann aber auch zu intensiv oder gar schmerzhaft sein.

 

Hast du noch einen Tipp für die Selbstberührung, wenn die Verknüpfung hierzu eher negativ behaftet ist, weil es zum Beispiel oft schmerzen verursacht hat?

Genau deswegen ist Sexualberatung für Menschen mit Endometriose so wichtig. Die Selbstberührung kann aufgrund der bisherigen Erfahrungen negativ behaftet sein. Hier sollte man die Zielorientierung und den Anspruch in kürzester Zeit wieder den wildesten Sex zu haben rausnehmen. Auch den Gedanken „ich gehe

in die Selbstberührung, um einen Orgasmus zu haben“ sollte man nicht haben. Es geht in erster Linie um ein liebevolles, wertschätzendes Berühren. Denn gerade, wenn man viel Zeit in Arztpraxen verbringt, hat man viele sehr nicht-liebevolle Berührungen, gerade beim Gynäkologen. Eine ganz liebevolle Übung kann sein, sich erstmal ganz bewusst, nackt unter eine kuschelige Decke zu legen. Wenn du magst mit Wärmflasche und/oder

gedämmten Licht, mit Musik oder ohne. Und dann erstmal liebevoll nur die Hände auf deinen Unterleib zu legen und zu fühlen, was spürst du? Was fühlt sich gut an? Was kommt vielleicht auch hoch, was sich nicht so gut anfühlt, damit man es in diesem Moment dann auch loslassen kann. Denn wenn diese unguten Gefühle und Ängste auftauchen, wenn du in die Selbstbefriedigung gehst, ist das nicht gut, denn dort gehören diese Gefühle nicht hin. Die Gefühle sollen vorher schon losgelassen werden. Und wenn du deine Hände auf deinen Bauch legst und dir selber auch sagen kannst, es ist okay, wir haben viel zusammen schon durchgestanden und erlebt,

aber ich möchte mit dir auch ganz viel Lust erleben. Eine kleine Ebene mit sich zu finden und sagen ich nehme das alles an, aber ich bin das nicht nur. Ich bin auch jemand anderes. Das Ziel ist es, die Endometriose an die Hand zu nehmen und zu sagen, ich nehme dich an, du bist ein Teil von mir, aber ich definiere mich nicht

darüber. Ich bin immer noch die eigenständige Person, die für Energie, schöne Momente und auch für Lust sorgt.

Beginnen sollte man immer bei sich selbst und sobald man sich über sich selbst im Klaren ist, kann man auch eine zweite (oder dritte, vierte Person – je nachdem) dazu nehmen.

 

Die Individualität, die ich immer betone und die Sexualität bietet, ist ein großes Geschenk, denn wir haben so viele Möglichkeiten. Meiner Meinung nach ist Sexualität einer der wichtigsten Ressourcen, denn aus der Sexualität heraus – auch aus der Entscheidung kein sexuelles Wesen zu sein - entsteht auch die Selbstliebe und das Erkennen des Selbstwertes und ebenso die Möglichkeit Grenzen zu ziehen. Zu entscheiden das bin ich oder eben auch nicht. Und was darf die Gesellschaft über mich entscheiden oder auch nicht? 

 

Warum glaubst du sollten sich alle Menschen individuelle Beratung holen?

Ich glaube wir leben in einer Zeit, in der wir sehr, sehr viele Informationen erlangen können. Das ist ein großes Geschenk. Was aber teilweise verloren geht, ist dass wir für uns ein Alleinstellungsmerkmal haben. Und hier wieder zu sich selbst zu finden und zu gucken, was tut mir gut und was nicht, kommt dabei leider oft zu kurz. Es ist wichtig, dass wir uns als eigenständige Person wahrnehmen, kennenlernen und schätzen. Und dann können wir, wenn wir für uns selbst einstehen und uns bei Bedarf selbst direkt von jemandem begleiten lassen. Ich möchte die Menschen dazu ermutigen, für sich einzustehen. Ich begegne den Menschen im Erstgespräch und schaue, wenn es um Endometriose geht, mir den Krankheitsverlauf an und schaue, was hat diese Person für ein Ziel. Dann höre ich meist erstmal zu und erfrage, gebe aber auch Feedback und Impulse, wenn das gewünscht ist.

 

Gibt es etwas, was du den Menschen noch unbedingt mitgeben magst?

Was ich ganz wichtig finde ist: Nimm dich selbst wichtig! Und nimm auch deine Entwicklung wichtig. Und stelle dir auch die Frage: Wenn es so bleibt, wie jetzt, geht es mir dann noch gut? Und ist vielleicht der Entwicklungsschmerz besser als das Aushalten? Und da vor allem ehrlich für sich hinschauen. Da geht es nicht

um das Dramatisieren.

 

Nimm dich selbst ernst und nimm deine Bedürfnisse wahr und steh für dich ein!


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