Beckenboden To Go – Folge 57: Almut Köwing über Beckenbodentherapie

 

Almut, seit wann bist du Physiotherapeutin ?

Ich habe Ende der 80ger in Hamburg im UKE meine Ausbildung gemacht, bin dann nach Hannover und habe dort an der medizinischen Hochschule mein Anerkennungsjahr absolviert. Nach dem Anerkennungsjahr bin ich nach Stuttgart gezogen und habe in der Neurologie gearbeitet. Durch meine drei Kinder habe ich für 8 Jahre eine Berufspause eingelegt. Dann bekam ich irgendwann eine Anfrage für Geburtsvorbereitende Kurse und habe mich dementsprechend fortgebildet.

 

Wie war damals das Fortbildungsangebot zum Thema Gynäkologie? 

Ich habe mich damals auf die Suche gemacht, weil ich das Gefühl hatte, dass das, was ich in der Ausbildung gelernt habe, nicht reichte. Die Fortbildung für einen Geburtsvorbereitungskurs habe ich bei Anne, die Mitglied in der AGGUP war, gemacht. Dadurch hatte ich den ersten Kontakt und eine Vorstellung, was die AGGUP so macht. Ich konnte das Gelernte gut verknüpfen und habe dann mit Geburtsvorbereitung und Rückbildung angefangen. Schnell stellte ich fest, dass ich die meisten Frauen in der Gruppe nicht gut betreuen konnte, sondern sie mich eher in der eins zu eins Therapie gebraucht hätten. 

 

Also konntest du in der Praxis deine Kapazitäten ausbauen und eins zu eins gynäkologisch betreuen?

Ja, genau. 1993 bin ich freie Mitarbeiter in einer Praxis geworden und konnte meine Kapazitäten ausbauen. Ich habe vor Ort die gynäkologischen Praxen besucht, erzählt, wie ich arbeite und mich vernetzt. Ein sehr einschneidendes Erlebnis war für mich ein Gespräch mit einem Gynäkologen. Er fragte mich, wie ich denn kontrollieren würde, ob die Frauen auch wirklich alles richtig machen. Diese Frage beschäftigte mich natürlich auch schon eine Zeit. Ich fasste von außen an, aber wusste nicht wirklich was von innen passiert. Damit kam der Stein ins Rollen. Auf einem ZVK Kongress habe ich Astrid Landmesser getroffen und wir haben beide festgestellt, dass wir an der gleichen Stelle feststecken. Nach dem Kongress kauften wir Handschuhe aus der Apotheke und untersuchten uns gegenseitig im Hotelzimmer. So haben wir angefangen. 

 

In welchem Jahr bist du Mitglied in der AGGUP geworden? 

Im Jahre 2002 bin ich mit Astrid in die AGGUP gegangen. Die Resonanz für die vaginale Palpation war gespalten und eine Frage kam immer wieder auf: “Dürfen wir das?”

 

Wie lange hat es gedauert, bis die Palpation zur Fortbildung in der AGGUP wurde?

2005 haben wir den ersten Pilotkurs gegeben. Damals haben wir uns entschlossen verschiedene Ärzt*innen zur Unterstützung und Absicherung mit ins Boot zu holen. Die haben dann einen Block Gynäkologie von zwei Stunden unterrichtet. Irgendwann haben wir uns aber dazu entschieden, den Unterricht selbst zu machen. Kurz danach kam Louise De Nijs-Renkens mit in die AGGUP und wir haben die Fortbildung zu dritt auf die Beine gestellt. Bisher bot die AGGUP einen Grundkurs und einen Aufbaukurs an. Dann kam unser Untersuchungskurs dazu und daraus wurde das Modulsystem Physio Pelvica gestrickt. 

 

Wie kam die Fortbildung bei den Kolleg*innen an?

Ich erinnere mich, dass wir am Anfang viel Werbung machen mussten, aber danach ging alles sehr schnell und die Kurse waren und sind bis heute immer ausgebucht. Das freut mich natürlich total. Allerdings habe ich vor 5 Jahren eine Online Umfrage an die Kolleg*innen, die auch Physio Pelvica waren, gemacht und schockierenderweise hat nur die Hälfte davon die Patient*innen auch untersucht. 

 

Hast du eine Idee woran das liegen könnte?

Ich glaube, es stellt sich immer noch oft die Frage: ”Darf ich das?” Also, die nicht ganz klare rechtliche Absicherung. Natürlich ist auch wichtig, wie das Verhältnis am Arbeitsplatz ist und was Arbeitgeber*innen vorgeben. An erster Stelle stehst immer du selbst als Therapeut*in und deine Schwelle zur Palpation. Es ist die Frage, wie selbstverständlich und mit welcher Überzeugung du die Untersuchung als Tool anbietest. Ich denke, das ist dann gar kein Thema. 

 

Du hast ja noch ein weiteres Diagnostisches Tool entwickelt, welches ist das?

Genau, die Fortbildung für die Sonografie habe ich zusammen mit Dr. Silke von der Heide entwickelt. Ich finde das visuelle Tool super genial und freue mich total, dass das auch in der gesamten Physiotherapie und vor allem auch für alle Muskeln einschlägt. Dann habe ich mir ein gebrauchtes Gerät gekauft, ausprobiert und angefangen damit zu arbeiten. Mein Sonographiegerät fand einen festen Platz in meiner Küche und jede Person, die zu Besuch war, wurde erstmal geschallt. Silke und ich haben unser Wissen durch Hospitieren bei PD. Dr. Stefan Albrich vertieft, weil er auch urogynäkologisch geschallt hat. Dort haben wir sehr viel gelernt. Irgendwann ist das Gerät dann in die Praxis gekommen. 

 

Was glaubst du brauchen wir Physiotherapeut*innen in Deutschland, dass die Palpation und Ultraschall zum Standard wird?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich habe in meiner aktiven AGGUP Zeit versucht, die Palpation rechtlich abzusichern, was nicht so einfach ist. Ich denke, wenn dort die komplette Absicherung gegeben wäre, würden viele vielleicht schon mehr palpieren. Eine Geburt ist eine schwere Sportverletzung. Genau wie bei anderen schweren Sportverletzungen sollte jede Person Therapie und Diagnostik erhalten. Nach einer Geburt gibt es jedoch viele Untersuchungen für die Kinder, aber wenig für die Frauen und deren Beckengesundheit. Wenn sich der Fokus sich nicht nur auf die Kinder beschränkt, sondern gleichermaßen auch auf die Frauen, die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Untersuchung, Diagnostik und Physiotherapie gesehen wird, es einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft bekommt, dann glaube ich, wird sich viel wandeln und verändern. Ich glaube, die Veränderung dieser Basis treibt alles voran und dann kann ich mir gut vorstellen, dass z.B. ein Beckenboden Check-Up nach der Geburt zum Standard wird. Vor Allem ist es wichtig, die verschiedenen Berufsgruppen nicht mehr so getrennt voneinander zu sehen, sondern miteinander für die Frauen, auf Augenhöhe und ohne ein Konkurrenzdenken. 

 

Almut hast du noch weitere Pläne für den Bereich Beckenbodenarbeit?

Ich nehme mir vor, ab 2024 nicht mehr so viel vorzuplanen und meine Zeit flexibler zu gestalten. Mein Feuer brennt natürlich weiterhin für die Themen, aber ich möchte gerne etwas mehr in die zweite Reihe rutschen. 

 

Darfst du den Kolleg*innen verraten, was man für Voraussetzungen braucht, um in der AGGUP in die erste Reihe zu treten? 

Bei Interesse kann man sich als Gast oder Gästin anmelden, um mal dabei zu sein. Danach muss man Mitglied werden und zwei Jahre Mitglied sein bis man dann Referent*in werden kann. 

 

Magst du den Menschen abschließend etwas mitgeben ?

Bleibt dran, habt Spaß an der Arbeit und untersucht die Menschen! Wenn deine Schwelle für die Palpation sehr hoch ist und du es dir noch nicht zutraust, dann hole dir gerne bei mir oder uns Unterstützung. 

 


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