Beckenboden To Go – Folge 63: Sexualität und Physiotherapie

 

Wo arbeitest du und wo kommst du her?

Ich bin seit über 17 Jahren selbständig in einer eigenen Praxis in Thürigen und habe vor über einem Jahr meine Praxis auf reine Beckenboden und Sexualtherapie umgestellt. Und vorher war ich ausschließlich in der Massage und klassischen Physiotherapie. Im Ehrenamt bin ich als Trauer- und Sterbebegleiterin unterwegs. 

 

Wie kam es dazu, dass du dich entschieden hast die Sexualität noch mit dazu zu nehmen?

Das hatte sich über die letzten Jahre so ergeben, weil ich viel im manuellen Bereich arbeite. Da sind mir viele Blockaden und Muskelverspannungen aufgefallen im Lendenwirbelsäulen und ISG-Bereich. Auch nach Schwangerschaften und Geburten oder aber auch nach anderen Traumata wie Stürzen. Und vom ganzheitlichen arbeite ich mit der chinesischen Medizin und der indischen Chakrenlehre, wo mir dann aufgefallen ist, dass es vielleicht zu wenig Energiebahnen oder Energiebahnen in Stagnation geraten sind und habe es dann angesprochen, womit ich das in Verbindung bringe, und da wurde es viel mit Sexualität in Verbindung gebracht. Und durch das Vertrauen der Patienten haben sich dann Gespräche ergeben, wo ich gemerkt habe, dass ich mit der Physiotherapie in der reinen Sexualität nicht weiterkomme. Da bin ich einfach an meine Grenzen gestoßen. Was sehr schade war, weil das Vertrauen ja da war. Und daher habe ich geguckt, wie ich mich weiterbilden kann, um meinen Patienten weiterhelfen zu können. 

 

Da ich ohne Fachhochschulreife in viele Weiterbildungen nicht reinkam, habe ich dann die Ann-Marlene Henning angeschrieben und habe nicht wirklich mit einer Antwort gerechnet aber einen Tag später haben sie mir die Sexocorporel empfohlen. Und so bin ich dann nach Berlin gekommen, die nach meinen Ausbildungen und nicht nach meiner Fachhochschulreife geschaut haben und somit war der Weg offen und auch der richtige.

 

Was macht Sexocorporel so besonders?

Das schöne ist, dass es sich wunderbar mit der Physiotherapie verbinden lässt. Und zwar weil der Körper, als auch der Geist mit einbezogen werden. Körperlich physische Elemente werden genauso mit reingenommen, wie emotionale Elemente. Auch die Erregungssteigerung, Erregungsmodi, die auf der körperlichen aber auch auf der geistigen Ebene stattfinden, muss oder darf beachtet werden. Aber auch das kognitive Denken sowie die Beziehungsebene wird mit einbezogen. Und all das mit der Physiologie also mit dem körperlichen zu verbinden ist das Besondere. Bei Sexocorporel wird der Muskeltonus, die Atmung und vieles andere mit reingenommen, was wunderbar zur Physiotherapie passt. 

 

Wie sieht es aus, wenn die Menschen zu dir in die Praxis kommen? Kommen die eher über die Physiotherapie oder kommen sie mit einem speziellen sexologischen Thema? 

Das ist unterschiedlich. Ich habe mich auf Frauen und Transmenschen mit geschlechtsangleichenden Operationen spezialisiert. Und die Patientinnen, die zu mir kommen können Vaginistinnen sein oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehrt sein, die das direkt auch beim ersten Telefonat schon ansprechen, aber es kann genau so sein, dass eine Darmproblematik vorherrscht und die Patientin dadurch in die Praxis kommt und ich dann den Physiopelvica und den Befund mache und sich dann in der zweiten oder dritten Sitzung erst ergibt, dass es auch eine Problematik in der Sexualität gibt. 

 

Andersrum auch genau so: Wenn jetzt ein Vaginismus vorliegt, kann ich durch den physiotherapeutischen Befund feststellen, dass zum Beispiel der Beckenboden sehr hyperton ist oder Triggerpunkte vorliegen. 

 

Was sind so die häufigsten Bilder? Was kommt wirklich häufig vor?

Meine Erfahrung bis jetzt ist, dass doch relativ viele Frauen denken, dass sie das Problem haben und sie etwas falsch machen. Sie werden dann auch teilweise vom Partner geschickt, weil sie ja das Problem haben. Das finde ich etwas erschreckend, muss ich sagen. Dann ist es mir ein Hauptanliegen, den Patientinnen erstmal mitzuteilen, dass sie nicht das Problem sind und wir dann vertrauensvoll zusammen erarbeiten, wo das herkommen kann. Ist es rein muskulär, ist zu viel Stress da, wie wurde die Patientin erzogen, welche Mythen liegen vor? Da ergeben sich auch gute Erfolge.

 

Angenommen ich habe Schwierigkeiten zum Orgasmus zu kommen. Wie würdest du dann mit mir vorgehen?

Im Prinzip ist es so, dass ich mir die ersten beiden Sitzungen ca. 2 Stunden Zeit nehme, dass die Patientin auch weiß, dass die Zeit vorhanden ist. Zu Beginn würden wir in meinem Gesprächsraum platznehmen, vorab hast du mir den Anamnesebogen ausgefüllt und zugeschickt, damit ich vorab den physiologischen Befund und Stand zu Operationen habe. Im Gespräch folgt dann die ganze Anamnese, wo ich auch gezielt nochmal nach Symptomen frage und versuche rauszuhören, was die Person sich unter einem Orgasmus überhaupt vorstellt und wie man das empfindet. Sowohl im Solosex als auch in der Paarsexualität. Da kann es große Unterschiede geben. Und nach dem Sexocorporel-Prinzip arbeite ich immer mit einem Whiteboard wo ich Brillen in blau, grün, rot und schwarz anpinne. Grün steht für die physiologische Ebene, die körperliche Ebene, Operationen, Muskulatur, liegen noch andere Erkrankungen vor und wie sind die Erregungsmodi. Die rote Brille wäre Emotionen, das lustvolle, wie sieht es damit aus mit der Erotik? Die blaue Brille wäre die Kognitionsebene, also wie gut ist dein Kenntnisstand über die eigene Anatomie, wie bist du erzogen worden? Und was macht Sexualität mit dir? Was macht das mit dir und wie würdest du das beschreiben? Und die schwarze Brille wäre, wenn du in einer Beziehung bist, wie ist das im Moment oder hast du häufig wechselnde Beziehungen? Und dann natürlich auch gezielter schon frage, wie sich das im Solo- und Paarsex verhält und das dann auch ziemlich genau analysiere. Und nach dem Gespräch, je nachdem wie weit du einverstanden bist mit der vaginalen und anorektalen Palpation und der Sonographie am Beckenboden würde ich die Diagnostik im funktionellen Bereich machen. Da würde ich dann mitteilen, dass z.B. der Beckenboden hyperton ist oder ich Triggerpunkte gefunden habe. Ich arbeite auch mit Elektrotherapie, da würde ich weiterhelfen, dass die Patientin das auf Rezept erhält und direkt schon kleine Übungen mitgeben, sodass man nicht direkt überfordert ist, aber bis zum nächsten Termin schon üben kann. 

 

Wie würdest du mit Beckenbodenübungen auf der physiotherapeutischen Ebene mit mir arbeiten und wie auf der sexologischen Ebene?

Wir nehmen mal den hypertonen Beckenboden als Beispiel: Hier kann man mit Wärme – auch zu Hause – arbeiten oder auch mit Entspannungsübungen und Biofeedback. Oder auch mit Elektrotherapie. Da ich auch mit den Chakren arbeite, nehme ich auch Farben mit rein, wenn zum Beispiel Triggerpunkte von einem früheren Unfall vorliegen. Dann sage ich meinen Patientinnen, dass sie sich vorstellen sollen, dass sich das ganze Becken in ihrer Lieblingsfarbe färbt, während ich den Triggerpunkt mit meinem Finger behandle. Die Visualisierung hilft oft schon, um eine Entspannung bei der Patientin auszulösen. Das kann man beispielsweise auch zu Hause üben. Wenn sie die Vaginalsonde fürs Biofeedback einführt, dass sie sich entspannt. Und sexualtherapeutisch merke ich immer wieder, dass die anatomische Aufklärung bei vielen Menschen sehr begrenzt ist. Was auch an der Schulbildung liegt. Wir haben erst im Jahr 2022 Schulbücher bekommen, wo die Klitoris in ihrem vollen Umfang dargestellt wird. Viele Frauen kennen die eigene Anatomie nicht ausreichend, was wo lustvoll ist und was Lust macht. Was ist überhaupt Erregung, was bringt mir Erregung? Dann gibt’s Vorurteile wie: Der Mann muss es mir besorgen. Sprich der Mann ist dafür verantwortlich, dass die Frau zum Orgasmus kommt.

 

Wenn ich mit so einer Thematik zu dir komme, kannst du dann pauschal sagen, wie viele Einheiten man braucht oder wie machst du das?

Also ich versuche die Behandlung so kurz wie möglich zu halten. Das können manchmal drei Sitzungen sein, bin aber bemüht, das so lange wie nötig zu machen. Ich versuche aber schon bei der ersten Sitzung die Patientin so zu erzählen. Ich versuche nicht 10 Sitzungen zu verkaufen, sondern versuche der betreffenden Person so schnell wie möglich Hilfe zu bieten. Manchmal pausieren wir nach 3 Sitzungen schon, weil ich das Gefühl habe, dass schon so viel angestoßen wurde und die Frauen sich dann melden, wenn wieder Probleme auftreten oder sich Fragen ergeben. Dann kann es natürlich sein, dass ein halbes Jahr später die Frau anruft, aber ich überlasse es der Patientin selbst, dass sie die Freiheit hat selber zu entscheiden.

 

Die eigentliche Arbeit findet zu Hause statt. Und ich kriege oft die Frage: Wie viele Einheiten brauchen wir eigentlich, bis es wieder gut ist? Ich kann das häufig nicht beantworten, weil jeder Mensch unterschiedlich ist, aber Therapeuten können immer nur Impulse geben und die eigentliche Arbeit findet zu Hause statt. Wie siehst du das?

Genau so ist das. Ich kann die Patient*innen nicht verändern. Die Veränderung findet da statt, wo sich die Patient*innen auf den Weg machen. Ich nenne die Übungen für zu Hause gern Projekt. Das erste Projekt ist immer den eigenen Körper kennenzulernen. Was stimuliert mich, was habe ich für Fantasien? Und da auch einfach Impulse zu geben, was es sein könnte. 

 

Wenn ich mit dir arbeiten wollen würde, wie erreiche ich dich?

Am besten über das Kontaktformular auf meiner Seite: https://www.privatpraxis-liebeskind.de/

Telefonisch über den Anrufbeantworter, da bei mir in der Behandlung immer die Türklingel und das Telefon stumm gestellt ist, damit nichts die Behandlung stört. 

 

Es gibt auch kein Wartezimmer, was vielen ja schon unangenehm wäre. Daher möchte ich einen geschützten Raum geben. Deswegen ist auch nur eine Privatpraxis möglich, weil ich mich bei der Zeit, die ich mir nehme, gar nicht mit den Krankenkassen arrangieren könnte. Ansonsten ist es keine günstige Behandlung aber viele kosmetische Behandlungen sind auch sehr teuer und werden trotzdem jeden Monat gebucht. 

 

Durch die längere Behandlungszeit fassen die Patient*innen auch oft ein ganz anderes Vertrauen und das ist oft der Vorteil für uns Physiotherapeuten. 

Wichtig ist mir noch zu sagen, dass ich keine Trauma-Therapeutin bin und es bei einigen wichtig ist auch zusätzlich noch einen Psychotherapeuten aufzusuchen. 

 

Magst du den Hörerinnen noch etwas mitgeben?

Die eigenen Grenzen kennen, die kennen viele Frauen leider nicht. Denn wenn man die eigenen Grenzen nicht kennt, kann man nicht agieren. Auch Nein und Stopp sagen fällt dann schwer. Auch die Selbstliebe ist wichtig. Egal wie man erzogen wurde, kann man im Erwachsenenalter lernen sich selbst zu lieben und sehen, dass man wertvoll ist genau so wie man ist. 

 

Sei freundlich mit dir und du bist wertvoll!


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